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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Dr. Ralf Kittelberger
ist Fachanwalt für Arbeits-
recht bei der SLP Anwalts-
kanzlei in Reutlingen.
Dr. Oliver Hahn
ist
Fachanwalt für Arbeitsrecht
bei der SLP Anwaltskanzlei in
Reutlingen.
Arbeitsverhältnisses das des Arbeitneh-
mers an seiner Fortsetzung überwiegt.
Schritt 3: Die Verhältnismäßigkeit
Eine Kündigung kommt nur dann in Be-
tracht, wenn sie nicht durch eine andere
mildere Maßnahme vermeidbar ist (Ul-
tima-Ratio-Prinzip, etwa die Versetzung
auf einen anderen Arbeitsplatz oder die
Weiterbeschäftigung zu geänderten Be-
dingungen?).
Die personenbedingte Kündigung:
Er will, kann jedoch nicht
Wenn sich in einer streitigen Ausei-
nandersetzung herausstellt, dass die
Minderleistung vom Mitarbeiter selbst
bei „gutem Willen“ nicht durch eigenes
steuerbares Verhalten wieder ausgegli-
chen werden kann, ist die Richtigkeit ei-
ner Kündigung nach den Spielregeln zu
überprüfen, die von der Rechtsprechung
für personenbedingte Kündigung vorge-
geben sind. Im Grenzbereich zwischen
steuerbarem und nicht steuerbarem Ver-
halten stellt sich in der Praxis meistens
das Problem der richtigen Behandlung.
Zumal die Sachverhalte nicht immer ein-
deutig sind und man sich im Einzelfall
durchaus trefflich darüber streiten kann,
ob „noch“ eine verhaltensbedingte oder
„schon“ eine personenbedingte Kündi-
gung anzunehmen ist.
Den Fall rechtzeitig „umstellen”
Ist die Frage, welche Kündigungsvarian-
te einschlägig ist, nicht von vornherein
richtig erkennbar, so werden derartige
Fälle in der Praxis häufig zunächst als
ein Fall des fehlenden Wollens einge-
stuft. Es kommt dann mitunter zunächst
zu Sanktionsmaßnahmen, die dazu die-
nen, einen Kündigungsstreit vorzube-
reiten.
Hier heißt es, rechtzeitig an eine „Um-
stellung“ des Falls zu denken. Daran
kommt man dann nicht umhin, wenn
sich herausstellt, dass dem Verhalten
des Arbeitnehmers das Element der Wil-
lenssteuerung fehlt. Das ist regelmäßig
im Bereich von Krankheiten (beispiels-
weise bei psychischer und physischer
Abhängigkeit von Alkohol/Drogen) der
Fall. Einen Erfahrungssatz, wonach
ein Arbeitnehmer beispielsweise eine
krankhafte Alkoholabhängigkeit ver-
schulden kann, wird insoweit von der
Rechtsprechung nicht akzeptiert.
Grundsätze der krankheitsbedingten
Kündigungen sind maßgeblich
Mithin sind bei Variante 2 (also der per-
sonenbedingten Kündigung) die Beur-
teilungsgrundsätze zu beachten, die von
der Rechtsprechung zur krankheitsbe-
dingten Kündigung entwickelt wurden.
Zu unterscheiden sind dabei wiederum
mehrere Fallgruppen, nämlich wegen
lang andauernder Erkrankung,
häufiger Kurzerkrankungen und
krankheitsbedingter Leistungsminde-
rung.
Bei allen Varianten werden die Vor-
aussetzungen wiederum in folgendem
Dreier­schritt abgeprüft:
Schritt 1: Negative Prognose
Auch die krankheitsbedingte Kündigung
stellt keine Sanktion für die Fehlzeiten
in der Vergangenheit dar, sondern er-
öffnet dem Arbeitgeber die Möglichkeit,
sich vor weiteren krankheitsbedingten
Belastungen zu schützen. Die wichtigste
Konsequenz aus dieser Betrachtung ist:
Kann beim Minderleister in absehbarer
Zeit wieder mit der Wiederherstellung
seiner Gesundheit gerechnet werden,
kann nicht gekündigt werden.
Maßgeblich für die negative Gesund-
heitsprognose ist der Kündigungszeit-
punkt. Bei häufigen Kurzerkrankungen
sind die letzten zwei bis drei Jahre
Prüfungszeitraum, während bei einer
Langzeiterkrankung Gewissheit über
die Wiederherstellung der Arbeitsfähig-
keit in den nächsten 24 Monaten beste-
hen muss (BAG, Urteil vom 19.4.2007,
Az. 2 AZR 239/06). Fehlzeiten, welche
die Dauer von sechs Wochen pro Kalen-
derjahr nicht übersteigen, und solche
aufgrund ausgeheilter Krankheiten,
nach Arbeitsunfällen oder wegen einer
erfolgreichen Kur, spielen regelmäßig
keine Rolle (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 5.9.2011, Az. 5 Sa 152/11).
Schritt 2: Erhebliche Beeinträchtigung
betrieblicher Interessen
Arbeitgeber müssen dargelegen, dass
der Minderleister auf Dauer ein erheb-
liches Problem für den Betrieb darstellt.
Anerkannt sind dabei unter anderem
Erwägungen wie Störungen des Arbeits-
ablaufs, Produktionsausfall, Verlust von
Kundenaufträgen, unbeschaffbares Er-
satzpersonal, lange Einarbeitungszeit bei
Spezialisten und erhebliche Belastungen
durch Entgeltfortzahlungskosten. Auch
die Möglichkeit einer Versetzung auf
einen anderen freien Arbeitsplatz muss
an dieser Stelle geprüft werden (BAG,
Urteil vom 12.7.2007, Az. 2 AZR 716/06).
Schritt 3: Interessenabwägung
Hier ist folgende Frage entscheidend:
Sind die durch die Krankheit verursach-
ten Belastungen aufgrund der Besonder-
heiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber
noch hinzunehmen oder haben sie ein
solches Ausmaß erreicht, dass sie nicht
mehr zugemutet werden können? Da-
bei ist der Grund für die Erkrankung
noch einmal einzubeziehen, ebenso
die Ursachen und das Verschulden an
der Krankheit sowie das Alter, die Un-
terhaltspflichten, gegebenenfalls eine
Schwerbehinderung und die Aussichten
auf dem Arbeitsmarkt.
Checkliste
Die zu prüfenden Daten bei der
verhaltensbedingten Kündiung (HI435614)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE