Seite 70 - personalmagazin_2014_06

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Recht
_Betriebliche altersversorgung
personalmagazin 06 / 14
E
ine Bestimmung in einer Ver­
sorgungsordnung, nach der ein
Anspruch auf eine betriebliche
Altersrente nicht besteht, wenn
der Arbeitnehmer bei Erfüllung der nach
der Versorgungsordnung vorgesehenen
zehnjährigen Wartezeit das 55. Lebens­
jahr vollendet hat, ist unwirksam.
Mit dieser Pressemitteilung hat das
Bundesarbeitsgericht einer Bankkauf­
frau Recht gegeben, die auf Auszahlung
einer monatlichen Betriebsrente in Hö­
he von 113,66 Euro geklagt hatte. Diese
war ihr von ihrem Arbeitgeber verwei­
gert worden, da er sich auf seine Versor­
gungsordnung berief, in der ein für den
vorliegenden Fall deutlich formulierter
Ausschlusstatbestand enthalten war.
Dieser sah vor, dass der Anspruch auf
eine Betriebsrente zwar grundsätzlich
nach einer zehnjährigen Dienstzeit er­
worben wird, diese Anwartschaft aber
dann allein nicht ausreicht, wenn der
Mitarbeiter das 55. Lebensjahr schon
vollendet hat.
Entscheidungserheblich für die Frage,
ob eine solche Kombination von Anwart­
schaft und Lebensalter hinzunehmen
ist, war die Auslegung des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das
in seinem § 10 Satz 3 Nr. 4 einerseits
die Festsetzung von Alterskriterien bei
Betriebsrentensystemen erlaubt, ande­
rerseits eine unterschiedliche Behand­
lung wegen des Alters allgemein nur
dann zulässt, wenn sie „objektiv und an­
gemessen und durch ein legitimes Ziel
gerechtfertigt ist“. „Die Mittel zur Errei­
Von
Thomas Muschiol
(Red.)
chung dieses Ziels“, so formuliert der
Gesetzgeber weiter, müssen außerdem
„angemessen und erforderlich“ sein.
Die erste Instanz sah billiges Interesse,
LAG und BAG sehen Diskriminierung
Dass man über diese Anhäufung von
unbestimmten Rechtsbegriffen trefflich
streiten kann, zeigt der über drei Jahre
dauernde Rechtsstreit. Zunächst hatten
die Richter des Arbeitsgerichts Stutt­
gart in erster Instanz noch zugunsten
des Unternehmens entschieden. Der
Arbeitgeber könne ein vom AGG ge­
decktes billiges Interesse daran haben,
Arbeitnehmer in jüngeren Jahren zum
Betriebseintritt zu bewegen. Außerdem
sei zu berücksichtigen, dass verschiede­
ne Altersstufen auch unterschiedliche
Versorgungsrisiken hätten. Der Arbeit­
geber dürfe deswegen auch die höheren
Risiken älterer Arbeitnehmer ausschlie­
ßen.
Das Argument des „billigen Interes­
ses“ wurde allerdings von den Folge­
instanzen nicht geteilt. Vielmehr schloss
Zu alt für eine Betriebsrente?
Urteil.
Das BAG hat eine Kombination von Wartezeit und Höchstaltersgrenze bei Be­
triebsrenten für AGG-widrig erklärt. Rechtsklarheit herrscht damit trotzdem nicht.
In welchen Fällen bei Altersabstandsklau-
seln die Richter des Bundesarbeitsgerichts
konkret die Grenze ziehen wollen, bleibt
weiterhin unklar. Ist dies bei 20, 19, 18, 17
oder 16 Jahren? Die vorliegende Entschei-
dung sorgt daher leider immer noch nicht
für die Rechtsklarheit, die für eine dem
Diskriminierungsverbot Rechnung tragende
Gestaltung erforderlich ist, zumal kein
sachlicher Grund ersichtlich ist, dieselben
Kriterien nicht auch für Einzelzusagen
anzuwenden. Das Ergebnis: Bei Verstoß
gegen das Diskriminierungsverbot fallen
Versorgungsberechtigte nicht aus der Ver-
sorgung heraus; dies verteuert dann gege-
benenfalls die Zusage für den Arbeitgeber.
Nach der bisherigen Rechtsprechung kann
man in der Praxis aber in folgenden Fällen
von tauglichen Differenzierungskriterien
ausgehen:
• unterschiedliche(r) Qualifikation/Berufs-
erfahrung/Arbeitsplatz (BAG 28.7.1992
– 3 AZR 173/92)
• Belohnung/Förderung von Betriebstreue
(BAG vom 20.7.2004 – 3 AZR 316/03)
• soziale Gesichtspunkte, zum Beispiel
Versorgungsbedarf (BAG 20.7.2004 – 3
AZR 316/03)
• Mindestehenklauseln (BAG 11.08.1987 –
3 AZR 6/86),
• Spätehenklauseln (BAG 15.10.2013 – 3
AZR 294/11)
„Von tauglichen Kriterien ausgehen“
expertenrat
Welche Konsequenzen müssen die Unternehmen aus dem BAG-Urteil ziehen? Wie
Rechtsexperte Sebastian Uckermann erklärt, ist dies nicht für alle Fälle klar zu beant-
worten. Einige Differenzierungskriterien lassen sich aber nach wie vor einsetzen.