Seite 14 - personalmagazin_2014_06

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personalmagazin 06 / 14
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Titel
_
ständige erreichbarkeit
Z
uerst hüpft die gute Fee in ei-
nem fliederfarbenen Kleid durch
ihren Zauberwald und erfüllt
fröhlich alle aufpoppendenWün-
sche. Dann werden die Wünsche immer
mehr, sie kommen von überall per Tele-
fon herein, bis die gute Fee schließlich
entnervt über die ständige Erreichbar-
keit klagt. Sie beschließt, Arbeitszeiten
von neun bis 18 Uhr einzuführen und
liest abends auch einmal ein gutes Buch.
Begleitet wird dieser Online-Spot der
Deutschen Gesetzlichen Unfallversiche-
rung (DGUV) mit den mahnenden Wor-
ten: „Ständige Erreichbarkeit ist eine
psychische Belastung. Für jeden.“
Keine Frage: Aufgrund der digitali-
sierten Arbeitswelt sind Arbeitnehmer
inzwischen dauerhaft erreichbar – per
E-Mail auf dem Smartphone oder über
Sofortnachrichten in Social-Media-Ka-
Von
Kristina Enderle da Silva
und
Thomas Muschiol
(Red.)
nälen. Zahlreiche Studien belegen di-
es: So kommt Professor Markus-Oliver
Schwaab von der Hochschule Pforzheim
in einer Studie, die dem Personalmaga-
zin exklusiv vorliegt, zu dem Schluss,
dass Störungen in der Freizeit durch be-
rufliche Nachrichten zunehmen (siehe
Ergebnisbericht ab Seite 18). Auch eine
Umfrage des Kölner Marktforschungs-
instituts Yougov unter 744 berufstäti-
gen Akademikern kommt zu ähnlichen
Ergebnissen: Bereits drei von fünf
Angestellten arbeiten in Deutschland
manchmal auch am Wochenende oder
an Feiertagen. Laut dem „DGB-Index Gu-
te Arbeit“ sind mehr als die Hälfte der
Arbeitnehmer in der Freizeit erreichbar.
Psychische Belastung ist die Folge
Das Privatleben wird mit beruflichen
Nachrichten immer weiter belastet – was
die Arbeitnehmer langfristig überlasten
kann. Wie die DGUV warnen ebenso IG
Metall und DGB vor den psychischen
Belastungen, die mit der ständigen Er-
reichbarkeit einhergehen können. Die
Fehlzeiten aufgrund psychischer Er-
krankungen hätten in der Folge der zu-
nehmenden Entgrenzung von Arbeits-
und Privatleben massiv zugenommen,
erklärt DGB-Vorstandsmitglied Annelie
Buntenbach. „Wir brauchen eine Anti-
Stress-Politik und klare Regeln für die
Erreichbarkeit von Mitarbeitern nach
Feierabend.“ Auch IG-Metall-Vorstands-
mitglied Christiane Benner fordert, der
Entgrenzung Einhalt zu gebieten.
Doch diese Entgrenzung, die durch
das flexible Arbeiten dank mobiler End-
geräte möglich wird, ist nicht selten
hausgemacht: Häufig wird sie von den
Arbeitnehmern selbst gewünscht und
vorangetrieben. So belegt Schwaab in
seiner Studie, dass die Beschäftigten
auf dienstliche Nachrichten schneller
reagieren als es der Arbeitgeber oder
der direkte Vorgesetzte eigentlich von
ihnen erwarten würde. Und laut der
Yougov-Studie sagt die Hälfte derer, die
manchmal auch an Wochenenden oder
an Feiertagen arbeiten, dass sie dies frei-
willig tun. Der Grund: Im Schnitt ist es
70 Prozent der Befragten wichtig, ihre
Arbeitszeit frei einteilen zu können. Sie
nutzen also die dauerhafte Erreichbar-
keit, um ihre Arbeit möglichst flexibel
einzuteilen und so Privat- und Berufs-
leben besser miteinander verbinden zu
können – und das in beide Richtungen:
Sie wollen nicht nur in der Freizeit
E-Mails abrufen, sondern eben auch Pri-
vates während der Arbeit regeln können.
Mitarbeiter wollen flexibel sein
Der Hightech-Branchenverband Bitkom
hat nachgefragt, wie Arbeitnehmer und
Personalverantwortliche die Vor- und
Nachteile ständiger Erreichbarkeit be-
werten: Vier von fünf Berufstätigen sind
der Ansicht, dass sich durch das mobi-
le Arbeiten Beruf und Familie besser
vereinbaren lassen. 56 Prozent meinen
sogar, dass dies zufriedener macht. Wei-
tere 55 Prozent sehen aber das Risiko,
dass sich bei der Arbeit im Homeoffice
Beruf und Freizeit zu stark vermischen.
Das Konzept der ausgewogenen
„Work-Life-Balance“ entwickelt sich im-
mer mehr hin zum entgrenzten „Work-
Life-Blending“. Denn dies erleichtert den
Fluch und Segen zugleich
Überblick.
Dank Smartphones und Social Media sind Mitarbeiter immer erreichbar.
Wie Firmen ihrer Fürsorgepflicht nachkommen, ohne flexibles Arbeiten zu verteufeln.
Die ständige Erreich­
barkeit der Arbeit-
nehmer wirft sowohl
personal­politische als
auch arbeitsrechtliche
Fragen auf, die nicht
einfach zu lösen sind.