Seite 72 - personalmagazin_2014_03

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Recht
_rentenversicherung
personalmagazin 03 / 14
M
arlene W., Personalchefin
einer großen Architekten-
und Bauplanungsgesell-
schaft, hat ein Problem. Auf
Anraten ihres Anwalts hat sie sich die
Entgeltabrechnungen aller imUnterneh-
men beschäftigten Architekten vorlegen
lassen und musste feststellen: Diese Mit-
arbeiter sind alle von der gesetzlichen
Rentenversicherung befreit, die Zahlun-
gen werden an das Versorgungswerk für
Architekten geleistet.
Seit den Urteilen des Bundessozial-
gerichts (BSG) vom 31. Oktober 2012
muss die Personalchefin jedoch erheb-
liche Zweifel daran haben, dass es bei
Von
Thomas Muschiol
(Red.)
den Befreiungen in ihrem Unternehmen
mit rechten Dingen zugegangen ist. Das
BSG hatte nämlich „klarstellend“ ent-
schieden: Befreiungsbescheide sind nur
dann wirksam, wenn sie erstens für das
konkrete Unternehmen ausgestellt wur-
den und zweitens die im Unternehmen
auch konkret ausgeübte Beschäftigung
von der Befreiung erfassen.
Ein Riesenproblem für Marlene W.,
die jetzt feststellt, dass man sich bei der
Prüfung in einigen Fällen auf die Be-
scheinigung des Vorarbeitgebers verlas-
sen hat. Oder die befreiten Mitarbeiter
sind mittlerweile gar nicht mehr in den
Berufsfeldern tätig, die ihren Job zum
„Kammerberuf“ machen, sondern sie
sind in andere Funktionen gewechselt
und arbeiten nun etwa als Controller
oder Großkundenbetreuer.
Die Personalchefin sollte sich daher
die Befreiungsbescheide unter dem As-
pekt anschauen, ob sich diese bei der
Einstellung auf die konkret ausgeübte
Tätigkeit bezogen haben. Wenn ja, darf
sie damit rechnen, dass der Fehler, sich
auf den Befreiungsbescheid eines frü-
heren Arbeitgebers verlassen zu haben,
verzeihbar ist – jedenfalls dann, wenn
es um Einstellungen vor den Urteilen
vom 31. Oktober 2012 geht. Ergibt sich
dagegen die konkret ausgeübte Tätigkeit
nicht eindeutig aus einem Beitragsbe-
scheid, ist sofortiges Handeln angesagt
(siehe Interview auf Seite 73). Künftig
muss sie sicherstellen, dass bei Ände-
rungen der Tätigkeiten sofort mit einem
neuen Antrag reagiert wird.
Auch wenn es für Marlene W. ein
schwacher Trost sein mag: Sie ist nicht
alleine mit ihrem Befreiungsdilemma.
Es gibt viele Unternehmen, die Mit-
arbeiter aus Berufen mit eigenen be-
rufsständischen Versorgungswerken
beschäftigten, seien es Ärzte, Apotheker
oder Rechtsanwälte. Gerade die Juristen
streiten heftig zu diesem Thema, zumal
gleich mehrere Verfahren beim BSG an-
hängig sind. Daher keimt bei Fachleuten
Hoffnung auf. Sie halten die Meinung
des BSG für angreifbar und sind ent-
schlossen, ihren Fall sogar bis zum Bun-
desverfassungsgericht durchzufechten.
Eine umfangreiche Sammlung von
Argumenten, die gegen die Haltung des
BSG ins Feld geführt werden, finden Sie
Konkrete Befreiung überprüfen
Urteile.
Das Bundessozialgericht vertritt eine harte Haltung bei Befreiungen von der
Rentenversicherungspflicht. Unzählige Fälle müssen nun nachgeprüft werden.
Der Arzt im Unternehmen kann von der Rentenversicherungspflicht befreit werden.