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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Unternehmen zu einem Vorstellungsge-
spräch eingeladen wurde?
Die Indizienlage reichte zunächst aus
Die Antwort auf die rechtliche Beweis-
frage findet sich zunächst unmittelbar
imAGG. Hier gilt nämlich nicht der sonst
geltende Grundsatz, dass derjenige der
sich eines Anspruchs berühmt, diesen
auch beweisen muss. Vielmehr folgt
das AGG einer eigenen Beweisregel, die
im § 22 AGG wie folgt beschrieben ist:
„Wenn im Streitfall die eine Partei Indi-
zien beweist, die eine Benachteiligung
wegen eines in § 1 genannten Grundes
vermuten lassen, trägt die andere Partei
die Beweislast dafür, dass kein Verstoß
gegen die Bestimmungen zum Schutz
vor Benachteiligung vorgelegen hat.“
Einfach einen Mitbewerber erfunden
Neben der Beweisregel bleibt jedoch die
Frage danach, woher der Kläger das In-
siderwissen über die parallel laufende
Bewerbung eines jüngeren Mitarbeiters
hatte. War es vielleicht einfach eine Be-
hauptung ins Blaue hinein, die zu einem
Glückstreffer geführt hat? Gab es in der
Personalabteilung einen Maulwurf, der
dem abgelehnten Bewerber den ent-
scheidenden Tipp über die Doppelbe-
werbung gegeben hat?
Keines von beiden. Der Kläger hat sich
weder auf sein Glück verlassen noch ver-
botene Recherchen durchgeführt. Viel-
mehr ist er auf Nummer sicher gegangen
und hat den zweiten Bewerber einfach
selbst erfunden. Er verwendete, so wird
es im Tatbestand des Urteils beschrieben
„einen in Teilen ähnlichen Lebenslauf,
Briefkopfbögen von Schulen und teil-
weise existierenden, teilweise nicht exi-
stierenden Firmen und Zeugnisse.“ Jetzt
musste das Ganze nur noch mit einem
Lichtbild eines Bewerbers versehen wer-
den, der exakt 18 Jahre jünger als der
Kläger in seiner authentischen zweiten
Bewerbung war. Hier vertraute er auf
den Zahn der Zeit, denn er scheute sich
nicht, ein eigenes Foto aus Jugendjahren
beizufügen.
Erst LAG findet angemessene Worte
Arbeitgeber und Bewerber legten Beru-
fung ein. Ersterer vermutlich, weil er
sich gehörig veräppelt vorkam, zweite-
rer vermutlich, weil ihm 2.000 Euro an-
gesichts einer derartig guten Idee nicht
als angemessenes Honorar erschienen.
Jetzt zeigten die LAG-Richter aller-
dings dem Kläger, dass auch sie Fanta-
sie besitzen, zumindest im Hinblick auf
die Auslegung von vermeintlich starren
Gesetzesvorgaben. Inszenierte Testver-
fahren zur Klärung von Diskriminie-
rungsfällen, so heißt es in der zweiten
Folge der Bewerbungskomödie, seien
nach der Gesetzesbegründung zum An-
tidiskriminierungsgesetz zwar zulässig,
sie dürften aber nicht rechtsmissbräuch-
lich sein (LAG Schleswig-Holstein, Urteil
vom 9.4.2014, Az. 3 Sa 401/13).
Was bleibt, ist die Frage, ob der Fall
damit erledigt ist, oder ob er noch wei-
tere Instanzen beschäftigen wird. Geht
es nach den Richtern am Landesarbeits-
gericht, so bleibt uns dies erspart, denn
diese ließen ausdrücklich eine Revision
an das BAG nicht zu. Aber es gibt ja
noch den EuGH und der liebt bekannt-
lich AGG-Streitigkeiten besonders. War-
ten wir es ab.
Muster
Betriebsvereinbarung zur Vermei-
dung von Benachteiligungen (HI1541111)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
steht die Rechtsprechung dabei sogenann-
ten AGG-Hoppern gegenüber. So entschied
das OLG Stuttgart, dass ein AGG-Archiv
an konkret anfragende Unternehmen die
Informationen weitergeben könne, ob ein
schwerbehinderter Bewerber bereits gegen
andere Arbeitgeber Entschädigungsklagen
nach dem AGG erhoben hat.
Auch Indizien, die eine Benachteiligung
wegen eines durch das AGG geschützten
Merkmals vermuten lassen – was zu einer
Beweiserleichterung für den Diskriminie-
rungskläger führt –, akzeptieren die Gerichte
nicht ausufernd großzügig. Das zeigt auch
der Fall des erfundenen Mitbewerbers.
Zwar kann die günstigere Behandlung einer
vergleichbaren Testperson als Indiz für eine
merkmalsbedingt ungünstigere Behandlung
Dr. Peter H. M.
rambach
ist Fach-
anwalt für Arbeits-
recht und Partner der
Kanzlei Dr. Fettweis &
Sozien in Freiburg.
des Bewerbers dienen; wenn dem Arbeit-
geber jedoch konkrete Tatsachen, die im
Arbeitsleben üblicherweise von Bedeutung
sind, Raum für eine andere Auswahlent-
scheidung geben, besteht keine Vermutung
für eine Diskriminierung.
Die Entwicklung ist nicht am Ende und bleibt
interessant. Dem Arbeitsgericht Stuttgart
verdanken wir etwa die Erkenntnis, dass
„Ossis“ kein Volksstamm sind. Der befürch-
tete Untergang des Abendlands steht aber
auch nach acht Jahren AGG nicht bevor.“
Mit einem Gespenst als
Mitbewerber wurde ein
AGG-Fall provoziert.
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