Seite 74 - personalmagazin_2014_07

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Recht
_Diskriminierung
personalmagazin 07 / 14
S
tellen Sie sich vor, in einer Perso-
nalabteilung gehen auf dieselbe
Stellenausschreibung zwei Be-
werbungen ein, die hinsichtlich
der geforderten Qualifikation und der
schulischen und beruflichen Vorbildung
vergleichbare Angaben enthalten. Und
nicht nur das. Auch die den Bewer-
bungen beigefügten Zeugnissse enthal-
ten Beschreibungen und Bewertungen,
die sich erstaunlich ähneln und bei
denen zumindest die Papierform zum
Schluss kommen lässt: Es kann sich loh-
nen, diesen Bewerbungen imWege eines
Vorstellungsgesprächs nachzugehen.
Ach so, da ist doch noch ein kleines Un-
terscheidungsmerkmal, denn das Alter
der Bewerber liegt immerhin 18 Jahre
auseinander.
Stellen Sie sich jetzt noch vor, dass sich
der für die Personalauswahl Verantwort-
liche dafür entscheidet, den jüngeren
Bewerber einzuladen und dem älteren
Kandidaten eine Absage zu schicken.
Arbeitsgericht folgte der AGG-Logik
Der erfahrene Personalpraktiker ahnt
es: Jetzt kommt das Allgemeine Gleich-
behandlungsgesetz (AGG) ins Spiel. Und
dies in Form einer Schadensersatzklage
des älteren Bewerbers, der die Summe
von 10.550 Euro als Entschädigung
wegen einer Altersdiskriminierung for-
dert.
Zu Recht, zumindest, wenn man wei-
terhin die Papierform als Ausgangs-
punkt sieht. Und so verwundert es
zunächst nicht, dass der nicht eingela-
Von
Thomas Muschiol
(Red.)
dene Bewerber vor dem Arbeitsgericht
Recht bekommt und ihm zumindest
2.000 Euro zugesprochen wurden. Da
der Arbeitgeber keinen triftigen Grund
nennen konnte, warum er sich nach
Sichtung der Qualifikationen, Vorerfah-
rungen und Zeugnisbewertungen nur
bei einem Kandidaten zu einer Einla-
dung zum Vorstellungsgespräch ent-
schieden hatte, zog für den abgelehnten
Bewerber die Indizwirkung aus § 22
AGG. Diese kann ein Arbeitgeber nur
aus dem Weg räumen, wenn er selbst im
Prozess beweisen kann, dass er einen
anerkannten Grund dafür hatte, einen
jüngeren Bewerber vorzuziehen; ein Un-
terfangen, was in den seltensten Fällen
gelingt und was für den Arbeitgeber im
vorliegenden Fall – es ging um eine Stel-
le als Systemtechniker – ein aussichts-
loses Unterfangen war.
Aber wie konnte, so wird sich der
AGG-Unerfahrene vielleicht fragen, der
abgelehnte Bewerber überhaupt bewei-
sen, dass er diskriminiert wurde? Und
wie konnte der abgelehnte Bewerber
überhaupt davon erfahren, dass sich
gleichzeitig ein Bewerber mit erstaun-
lich ähnlichem Profil beworben hat, der
auch noch – im Gegensatz zu ihm – vom
AGG-Trick mit Testbewerbung
Urteil.
Mit einem erfundenen Kandidaten wollte ein Bewerber eine AGG-Klage
vorbereiten. Erst die zweite Instanz fand ein juristisches Gegenmittel.
„Kein Zweifel – die für den Bereich des
Arbeitsrechts schon vor Inkrafttreten des
AGG teilweise vorausgesagte Prozessflut ist
ausgeblieben. Dennoch beschäftigen Dis-
kriminierungsklagen regelmäßig die Ge-
richte. In der Urteilsdatenbank „Juris“ sind
für das Jahr 2013 immerhin 49 Entschei-
dungen des BAG mit direktem AGG-Bezug
dokumentiert. Jenseits aller Statistik ist die
gefühlte Relevanz bei den Arbeitgebern
als auch die tatsächliche Relevanz in der
Personalpraxis deutlich höher. Dies liegt
auch daran, dass zahlreiche Streitigkeiten
von Arbeitgeberseite außergerichtlich
erledigt werden, und sei es durch Zahlung
einer Lästigkeitsgebühr.
Einen Schwerpunkt bilden die Fälle von
Benachteiligungen wegen des Alters,
wegen einer Behinderung und wegen des
Geschlechts. Die Zeiten, in denen Arbeit-
geber risikolos nach „Young Pro­fessionals“
suchen oder sich ausdrücklich an Be-
rufsanfänger wenden, sind vorbei. Auch
Altershöchstgrenzen wie die 60-Jahre-
Grenze bei den Lufthansapiloten gehören
der Vergangenheit an. Durchaus kritisch
„Nicht der Untergang des Abendlands“
Kommentar
Am 18. August 2006 ist das AGG in Kraft getreten. Seither ist vermutlich kaum ein Monat
vergangen, in dem nicht irgendein Gericht zu Diskriminierungsfragen verhandelt hat.
Der Arbeitsrechtler Dr. Peter Rambach zieht nach acht Jahren eine Zwischenbilanz.