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Jahrzehntelang hatte es Bestand: das Grundprinzip, dass im Unternehmen nur ein Ta-
rifvertrag gelten kann. Bis sich das BAG von seinen eigenen Grundsätzen distanzierte.
Das BAG hat mit Urteil vom 7. Juli 2010 (Az. 4 AZR 549/08) seine bisherige Rechtspre-
chung zur Tarifpluralität aufgegeben, nachdem der 10. Senat des BAG mit Beschluss vom
23. Juni 2010 (Az. 10 AS 3/10) dieser Rechtsprechungsänderung zugestimmt hatte. Zuvor
wirkte sich der ungeschriebene Grundsatz der Tarifeinheit, wenn innerhalb eines Betriebs
verschiedene Tarifverträge mit unterschiedlichen Gewerkschaften zur Anwendung kom-
men konnten, so aus, dass der speziellere Tarifvertrag die anderen verdrängte.
Folge der Rechtsprechungsänderung war, dass die Rechtsnormen eines Tarifvertrags,
die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, für
die Beschäftigten, die Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft waren, auch dann
unmittelbar galten, wenn für den Betrieb noch ein oder mehrere andere Tarifverträge
anwendbar waren, die als spezieller zu qualifizieren waren. Nach Ansicht des BAG gibt
es nämlich gerade keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsver-
hältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwen-
dung kommen können.
Das Ende der Tarifeinheit im Jahr 2010
Rückblick
weitet hat und beispielsweise Unter-
stützungs-, Solidaritätsstreits und auch
Streikmaßnahmen gegen am Arbeits-
kampf unbeteiligte Dritte grundsätzlich
als zulässig ansieht, wird das mit der
Abschaffung des Grundsatzes der Ta-
rifeinheit verbundene Nebeneinander
von Tarifverträgen sowie die dadurch er-
öffnete Potenzierung möglicher Arbeits-
kämpfe vielfach kritisiert. Arbeitgeber
– und die Öffentlichkeit – fürchten die
Streikmacht der Spartengewerkschaf-
ten. Die etablierten DGB-Gewerkschaf-
ten sorgen sich um die Konkurrenz
durch die Funktionseliten. Vor diesem
Hintergrund gab es verschiedene Vor-
haben, die das Prinzip der Tarifeinheit
durch eine gesetzliche Regelung wieder
einführen wollen.
Ein gemeinsamer Entwurf von BDA
und DGB vom Juni 2010 sieht „zur Si-
cherung der Funktionsfähigkeit der
Tarifautonomie“ vor, im bestehenden Ta-
rifvertragsgesetz (TVG) den Grundsatz
der Tarifeinheit im Betrieb gesetzlich
festzuschreiben. Hierdurch werde eine
Zersplitterung des Tarifvertragssystems,
eine Spaltung der Belegschaften und ei-
ne Vervielfachung kollektiver Konflikte
verhindert. Laut BDA und DGB müsse
in den Betrieben für alle Beteiligten klar
sein, welcher Tarifvertrag gilt. Insofern
wurde vorgeschlagen, dass bei einer
Überschneidung der Geltungsbereiche
mehrerer Tarifverträge unterschied-
licher Gewerkschaften nur der Tarifver-
trag anwendbar sein solle, an den die
Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder
im Betrieb gebunden sei. Maßgeblich
wäre bei solchen sich überschneidenden
Tarifverträgen folglich, welche der kon-
kurrierenden Gewerkschaften im Be-
trieb mehr Mitglieder hat (Grundsatz
der Repräsentativität). Treffen demnach
zum Beispiel zwei Entgelttarifverträge
zusammen, die das Entgelt zumindest
teilweise gleicher Arbeitnehmergrup-
pen regeln, gilt im Betrieb der Tarif-
vertrag, an den die größere Anzahl von
Gewerkschaftsmitgliedern gebunden ist.
Für die Laufzeit des nach diesem
Grundsatz im Betrieb anwendbaren
Tarifvertrags gilt – wie bisher – die
Friedenspflicht. Diese würde durch die
gesetzliche Regelung auch auf konkur-
rierende Tarifverträge erstreckt werden,
die nach dem Grundsatz der Tarifeinheit
nicht zur Geltung kommen könnten. Die
Friedenspflicht gilt damit während der
Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrags
auch gegenüber anderen Gewerkschaf-
ten. Wenn zum Beispiel eine Gewerk-
schaft für eine Berufsgruppe einen
Entgelttarifvertrag verlangt, obwohl für
diese Arbeitnehmer ein Tarifvertrag der
repräsentativeren Gewerkschaft gilt, so
besteht auch gegenüber der Spartenge-
werkschaft die Friedenspflicht für die
Laufzeit des bestehenden Tarifvertrags.
Arbeitskämpfe um solche Tarifverträge
durch eine im Betrieb nicht repräsenta-
tive Gewerkschaft wären daher während
der Laufzeit eines vorrangigen Tarifver-
trags ausgeschlossen.
Eine solche gesetzliche Regelung
schaffe – so BDA und DGB – Rechts-
klarheit für den Fall einer Kollision un-
terschiedlicher Tarifverträge. Möglich
bleibe aber wie bisher auch, dass sich
verschiedene Tarifparteien darauf ver-
ständigen, in einem Betrieb unterschied-
liche Tarifverträge für unterschiedliche
Arbeitnehmergruppen zu vereinbaren
(vereinbarte Tarifpluralität).
Neben dem Umstand, dass dieser Ent-
wurf und die entsprechenden gesetz-
lichen Anpassungen bereits erheblichen
verfassungsrechtlichen Bedenken be-
gegnen, hat nunmehr der DGB selbst im
Rahmen des diesjährigen Bundeskon-
gresses in Berlin kundgegeben, dass er
eine gesetzliche Regelung zur Tarifein-
heit ablehne, sofern damit eine Ein-
schränkung der Tarifautonomie und des
Streikrechts verbunden sei. Bereits 2011
hatte der DGB mitgeteilt, dass er keine
Möglichkeit mehr sehe, die Initiative von
DGB und BDA weiterzuverfolgen.
Professoren gegen Betriebsmehrheit
Bereits zuvor, im September 2010,
hatte es einen alternativen Professo-
renentwurf gegeben, der ebenfalls die
Tarifeinheit zugunsten des Mehrheits-
tarifvertrags vorsieht. Allerdings regelt