Seite 55 - personalmagazin_2014_07

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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
gerade wenn diese selbst Juristen sind?
Kienast:
Es sind viele Einwände denkbar,
die der Arbeitnehmer der Rückforderung
entgegensetzen kann. Ob und welche
davon durchgreifen, ist noch nicht ge­
klärt. Fest stehen dürfte hingegen, dass
Ausschlussklauseln – gleich ob in Ar­
beits- oder in Tarifverträgen – der Rück­
forderung entgegenstehen. Derartige
Ausschlussklauseln sehen im Regelfall
vor, dass sämtliche nicht innerhalb von
drei oder sechs Monaten ab Fälligkeit
geltend gemachten Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis verfallen. Vorausge­
setzt, der Anspruchsteller hat von den
anspruchsbegründenden
Umständen
Kenntnis erlangt oder hätte hiervon
ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis er­
langen müssen. Das könnte man in den
hier in Rede stehenden Fällen bejahen
müssen, mag der Arbeitgeber auch –
wie der Arbeitnehmer – die vorliegende
Befreiung falsch eingeschätzt haben.
Hier wird es auch auf die Umstände des
Einzelfalls ankommen. Auch die Verjäh­
rung des Rückforderungsanspruchs ist
möglich, aber nur relevant, wenn nicht
bereits eine – kürzere – Ausschlussfrist
eingreift. Es gilt die gewöhnliche Verjäh­
rungsfrist von drei Jahren.
personalmagazin:
Das Thema kann pikant
sein, wenn Unternehmensjuristen
Auss­agen über die eigenen Fälle treffen
müssen ...
Bittmann:
Personal- und Rechtsabteilung
müssen sich hier abstimmen. Natürlich
werden bei vielen Juristen zwei Herzen
in einer Brust schlagen, wobei letztlich
das Unternehmensinteresse ausschlag­
gebend sein muss – auch im Interesse
der Juristen. Denn wer will sich später
vorhalten lassen, wegen Betroffenheit
nicht sachgerecht beraten zu haben? Um
schon den Anschein zu vermeiden, eige­
ne Interessen könnten bei der Bewertung
eine Rolle spielen, holen übrigens auch
viele Rechtsabteilungen aus Compliance-
Gründen externen Rechtsrat ein.
Das Interview führte
Thomas Muschiol.
schiedlich formuliert. Die Prüfung darf –
leider – auch vor bestandskräftigen, zum
Teil recht weit gefassten Bescheiden kei­
nen Halt machen. Denn nach der Recht­
sprechung der Sozialgerichte ist nicht
in jedem Fall eine vorherige Aufhebung
erforderlich. In vielen Fällen wird aus
Compliance-Gründen an der Anmeldung
zur Deutschen Rentenversicherung kein
Weg vorbeiführen.
personalmagazin:
Wie weit zurück kann
eine Nachverbeitragung erfolgen – wenn
man unterstellt, dass das Argument „Ver-
trauensschutz“ nicht weiterhilft?
Bittmann:
Nach § 25 SGB IV verjähren
Ansprüche der Sozialversicherungsträ­
ger auf Beiträge grundsätzlich in vier
Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs,
in dem sie fällig geworden sind. Die
Verjährungsfrist verlängert sich auf 30
Jahre, wenn der Arbeitgeber die Beiträ­
ge vorsätzlich nicht abgeführt hat. Schon
bedingter Vorsatz schadet. Vorsätzlich
handelt ein Arbeitgeber daher schon
dann, wenn er die Beitragspflicht für
möglich hält und die Nichtabführung –
wie es heißt – „billigend in Kauf nimmt“.
Immerhin: Die Beweislast für den – auch
bedingten – Vorsatz des Arbeitgebers
trifft die Rentenversicherung.
personalmagazin:
Der Arbeitgeber haftet
gegenüber der Rentenversicherung auch
für den Arbeitnehmeranteil. Kann er die-
sen im Fall der Nachverbeitragung vom
Arbeitnehmer ersetzt verlangen?
Kienast:
Das ist leider nur sehr begrenzt
möglich, was an § 28g SGB IV liegt – einer
Vorschrift, die vielen Arbeitgebern nicht
bekannt ist. Hiernach kann der Erstat­
tungsanspruch des Arbeitgebers gegen­
über dem Arbeitnehmer nur durch Ab­
zug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht
werden. Vor allem aber ist der Abzug
– von wenigen Ausnahmen abgesehen –
auf die nächsten drei Gehaltszahlungen
beschränkt, die auf den jeweiligen Mo­
nat, in dem der Abzug unterblieben ist,
folgen. Hierbei sind außerdem die Pfän­
dungsfreigrenzen zu beachten.
personalmagazin:
Wie kann der Arbeitgeber
seine Doppelbelastung mildern? Kann
er vom falsch beurteilten Mitarbeiter die
Beiträge verlangen, die er für ihn an das
Versorgungswerk gezahlt hat?
Bittmann:
Im Grundsatz steht dem Arbeit­
geber ein Erstattungsanspruch zu, und
zwar nach dem Recht der ungerechtfer­
tigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB).
Denn der Arbeitnehmer ist um den Zu­
schuss, den der Arbeitgeber zum Beitrag
an das Versorgungswerk geleistet hat, be­
reichert. Der Arbeitgeber hat den Arbeit­
geberzuschuss auch ohne Rechtsgrund
gezahlt. Rechtsgrund für die Zahlungen
war nach dem gemeinsamen Verständnis
der Vertragsparteien die Vorschrift des
§ 172a SGB VI, wonach der Arbeitgeber
für von der Rentenversicherungspflicht
befreite Arbeitnehmer einen Zuschuss
zum Versorgungswerk zu zahlen hat.
§ 172a SGB VI erfordert jedoch eine
wirksame Befreiung des Arbeitnehmers
von der Rentenversicherungspflicht, die
in den hier diskutierten Fällen gerade
nicht vorliegt. Ob die Zahlung direkt vom
Arbeitgeber an das Versorgungswerk ge­
leistet oder der Arbeitgeberanteil an den
Arbeitnehmer überwiesen und der Ge­
samtbetrag von diesem abgeführt wurde,
macht dabei keinen Unterschied.
personalmagazin:
Aber müssen Arbeitge-
ber nicht mit juristischen Einwänden
der betroffenen Arbeitnehmer rechnen,
Dr. Barbara Bittmann
ist Partnerin
und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei CMS
Hasche Sigle in Düsseldorf.