Seite 54 - personalmagazin_2014_07

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spezial
_entgelt
personalmagazin 07 / 14
cher Stichtag ist gegebenenfalls maßgeb­
lich? Hinzu kommt, dass sich die Praxis
der Deutschen Rentenversicherung in
den vergangenen Jahrzehnten gewan­
delt hat. Die sogenannten vier Kriterien,
mit denen das BSG jetzt den angekündig­
ten Vertrauensschutz begründet, wer­
den erst seit zirka zehn Jahren bei der
Prüfung herangezogen. Es wird daher
befürchtet, dass die Juristen, deren Be­
freiungsbescheide älteren Datums sind
und die unter Zugrundelegung der so­
genannten Vier-Kriterien-Theorie nicht
befreit worden wären, möglicherweise
keinen Vertrauensschutz zugesprochen
erhalten. Das hielten wir zwar für falsch,
kann aber leider niemand im Moment
sicher ausschließen. Klarheit bringen
hier hoffentlich die Urteilsgründe, die in
ein bis zwei Monaten vorliegen müssten.
personalmagazin:
Was ist mit anderen
berufsständisch Versicherten?
Kienast:
Die Rechtsprechung richtet sich
keineswegs allein gegen Unternehmens­
juristen, wie zuweilen zu hören ist. Auch
die Befreiungen etwa von Apothekern,
Ärzten und Architekten, die in großer
Zahl in Unternehmen beschäftigt wer­
den, gehören auf den Prüfstand.
personalmagazin:
Was müssen Arbeitgeber
jetzt tun?
Bittmann:
Arbeitgeber müssen spätestens
nach Bekanntgabe der Urteilsgründe
handeln und die vorliegenden Befrei­
ungen aller berufsständisch Versicherten
überprüfen und bewerten. Keine leichte
Aufgabe. Denn die Befreiungsbescheide
wurden im Lauf der Zeit höchst unter­
„Auch eine Compliance-Frage“
INTERVIEW.
Wer jetzt nicht reagiert, muss mit Nachverbeitragungen bei „Versorgungs­
werklern“ rechnen. Die Rechtslage ist unübersichtlich – und konfliktträchtig.
personalmagazin:
Es herrscht Aufregung
über das BSG, also das Bundessozial-
gericht, das Unternehmensjuristen die
Berechtigung abgesprochen hat, sich von
der gesetzlichen Rentenversicherung zu-
gunsten des Rechtsanwaltsversorgungs-
werks befreien zu lassen. Ist der Ärger
aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
Rainer Kienast:
Das BSG hat am 3. April
in der Tat mit einer jahrzehntelangen
Praxis gebrochen und zwingt nun viele
Unternehmensjuristen in die ungeliebte
gesetzliche Rentenversicherung. Daher
sind die heftigen Reaktionen verständ­
lich. Immerhin hat das Gericht aber ei­
nen gewissen Vertrauensschutz für die­
jenigen angekündigt, die bereits einen
Befreiungsbescheid haben.
personalmagazin:
Was bedeutet das?
Barbara Bittmann:
Bislang gibt es leider
nur eine Pressemitteilung, die viele
Fragen offen lässt. So viel dürfte aber
feststehen: Vertrauensschutz kommt in
der Regel nur für die Arbeitnehmer in
Betracht, die für ihre konkrete Beschäf­
tigung über eine Befreiung von der ge­
setzlichen Rentenversicherung verfügen.
Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber
gewechselt, ohne sich erneut befreien
zu lassen, oder hat er seine Tätigkeit seit
der letzten Befreiung wesentlich geän­
dert, greift dieser Schutz voraussichtlich
nicht. Das folgt aus den Entscheidungen,
die das BSG – von vielen unbemerkt –
bereits im Oktober 2012 getroffen hat.
Besonders misslich: Bis zu diesen Ent­
scheidungen war es landläufige Mei­
nung, übrigens auch der Deutschen
Rentenversicherung, dass eine einmal
erteilte Befreiung ausreicht, sofern auch
die neue Tätigkeit die Befreiungsvoraus­
setzungen erfüllt. Ein neuer Befreiungs­
antrag schien nicht erforderlich. Nach
der neuesten BSG-Rechtsprechung vom
April werden Befreiungsanträge nun se­
rienmäßig abgelehnt.
personalmagazin:
Sind wenigstens all
jene auf der sicheren Seite, die für ihre
konkrete Beschäftigung einen Befreiungs-
bescheid in den Händen halten?
Kienast:
Viel spricht dafür, sofern bei der
Befreiung alles mit rechten Dingen zuge­
gangen ist. Aufgrund der vagenAnkündi­
gung des BSG ist aber leider nicht sicher,
wie weit der Vertrauensschutz letztlich
reicht: Nur für die Vergangenheit? Oder
auch für die Zukunft? Unbegrenzt? Wel­
Dr. Rainer Kienast
ist Partner und
Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche
Sigle in Düsseldorf.