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personalmagazin 11 / 14
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RECHT
_URTEILSDIENST
Gestaffelte Kündigungsfristen sind rechtmäßig
Dass nicht alles, was in § 622 Abs. 2
BGB geschrieben steht, ganz wörtlich zu
nehmen ist, dürfte seit 2010 klar sein.
Bekanntlich hat damals der EuGH dafür
gesorgt, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB
es im Gesetz steht. Danach verlängert
sich die Mindestkündigungsfrist auch
künftig stufenweise – mit zunehmender
Betriebszugehörigkeit. Die Staffelung
sei zulässig, entschied nun das BAG.
nicht mehr anzuwenden ist – auch wenn
dies der Gesetzgeber bislang standhaft
ignoriert und den Satz nicht aus dem
Gesetz streicht. Umso schöner, dass in
­§ 622 ­Abs. 2 Satz 1 alles so bleibt, wie
URTEIL DES MONATS
Je treuer der Mitarbeiter, desto länger die Kündigungsfrist bei
einer ordentlichen Kündigung: Das ist die vereinfachte Formel des
§ 622 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Gesetzgeber räumt dadurch Mitar-
beitern, die über Jahre in einer Firma arbeiten, einen besseren
Kündigungsschutz ein, wenn der Betrieb sie vor die Tür setzen will.
Die gesetzliche Regelung hat nun auch der Sechste Senat des BAG
bestätigt. Zwar räumten die Richter ein, dass die Vorschrift Jüngere
mittelbar benachteilige. Die Verlängerung der Kündigungsfrist durch
§ 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verfolge jedoch das rechtmäßige Ziel, be-
triebstreuen Arbeitnehmern einen verbesserten Kündigungsschutz
zu gewähren. Letztlich sei die Vorschrift auch Ausdruck des Gedan-
kens, dass Ältere regelmäßig größere Schwierigkeiten haben, einen
gleichwertigen, neuen Job zu finden, argumentierten die Richter.
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die sich als jüngere Beschäftigte
durch die Regelung diskriminiert fühlte. Schließlich könne sie natur-
gemäß noch keine 20 Jahre in einer Firma arbeiten. Daher verlangte
die 31-Jährige im Verfahren um ihre Kündigung die längste Kündi-
gungsfrist, die § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB vorsieht: sieben Monate,
statt – nach dreieinhalb Jahren Beschäftigung – einen Monat. Die
gesetzliche Staffelung sei nicht zulässig, sodass der längst mög-
liche Zeitraum für alle Arbeitnehmer gelten müsse, argumentierte
ARBEIT MIT KOPFTUCH
ZUSAMMENFASSUNG
In kirchlichen Einrichtungen kann Mitarbeitern
einer anderen Konfession regelmäßig das Tragen eines islamischen
Kopftuchs untersagt werden. Das hat das BAG nun erstmals für eine
Krankenschwester eines evangelischen Krankenhauses entschieden.
RELEVANZ
Für Lehrer oder Verkäufer haben die Gerichte bereits
(im Ergebnis unterschiedliche) Entscheidungen dazu getroffen, ob
Beschäftigte während der Arbeitszeit ein Kopftuch tragen dürfen.
Erstmals hat sich das BAG nun damit beschäftigt, ob konfessionelle
Arbeitgeber ihre Mitarbeiter anweisen können, auf Symbole einer
anderen Religion zu verzichten. Aufgrund des kirchlichen Sonder-
status im Arbeitsrecht bejahten dies die Richter. Schließlich sei die
Arbeitnehmerin arbeitsrechtlich zu neutralem Verhalten verpflichtet.
BELEIDIGTER CHEF
ZUSAMMENFASSUNG
Beleidigt ein Mitarbeiter seinen Chef mit dras-
tischen Worten, muss er nicht zwingend den Schreibtisch räumen.
Statt der Kündigung hätte in diesem Fall eine Abmahnung genügt.
RELEVANZ
Das Urteil ist ein Beispiel aus der Reihe: „Es kommt auf
den Einzelfall an“. Gerade bei Kündigungen sind generelle Grenzen,
die für alle Fälle gelten, kaum möglich. So hatte der Mitarbeiter
seinen Chef zwar als „irre“ und „Psycho“ beschimpft. Quasi strafmil-
dernd hielten ihm die Richter jedoch zugute, dass er seinen Vorge-
setzten lediglich im Gespräch mit den Kollegen verbal verunglimpft
hatte. Zudem ging dem Ausbruch ein Rauswurf aus dem Chef-Büro
voraus. Natürlich müsse der Arbeitgeber solch unsachliche Angriffe
nicht hinnehmen, eine Abmahnung hätte jedoch genügt.
die Ex-Mitarbeiterin. Das beurteilten die Richter am BAG anders:
Die konkrete Staffelung sei angemessen und erforderlich, auch im
Sinne der europäischen Richtlinie 2000/78/EG. Darum liege keine
mittelbare Diskriminierung wegen des Alters vor. Die Kündigung sei
wirksam – mit einer Kündigungsfrist von einem Monat.
Kündigung: Die Frist richtet sich nach der Betriebszugehörigkeit.
Quelle
BAG, Urteil vom 18.9.2014, Az. 6 AZR 636/13
Quelle
LAG Rheinland-Pfalz vom 24.7.2014, Az. 5 Sa 55/14
Quelle
BAG, Urteil vom 24.9.2014, Az. 5 AZR 611/12