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TITEL
_AGILITÄT
personalmagazin 11 / 14
des Wissen erneuert – mit hoher Dring-
lichkeit, weil die Agilität das verlangt. Ein
Beispiel sind die arbeitspsychologischen
Theorien zur Arbeitsgestaltung. Sie be-
sagen etwa: In einem Unternehmen, in
dem die Mitarbeiter sehr regelkonform
agieren müssen und durch bestimmte
Vorgaben behindert werden, sinken die
Eigeninitiative und das Verantwortungs-
bewusstsein. Das ist keine neue Weisheit
in der Arbeitsgestaltung. Allerdings ge-
winnt die Erkenntnis in agilen Unterneh-
men an Relevanz, weil diese Mitarbeiter
mit einer hohen Eigenverantwortung
brauchen.
personalmagazin:
Können Sie ein weiteres
Beispiel dafür nennen?
Eireiner:
Eine weitere lernpsychologische
Erkenntnis, die sich hier anwenden lässt,
ist: Potenzialfreisetzung bedarf der Di-
mensionen Können, Wollen und Dürfen.
Die Konsequenz daraus ist: Rigide Struk-
turen funktionieren nicht, Unternehmen
müssen viel mehr auf die Dynamik der
Umwelt reagieren. Sie brauchen eine
sich verändernde, schnell und proaktiv
agierende Organisation. Das wiederum
bedeutet: Unternehmen müssen all das
fördern, was eine Zielsetzung hat, die die
Organisation zusammenhält – aber den-
noch in den Strukturen, Prozessen und
der Kultur so viel Freiheit ermöglichen,
dass Agilität erst passieren kann. Das
heißt etwa, dass es bei einer Methode
wie Scrum einen Rahmen gibt. Damit ist
kein einhundertseitiges Richtlinienwerk
gemeint, sondern einige Basisregeln und
ein Basisverständnis von Verantwortlich-
keiten und Rollen wie in einem iterativen
„Überleben erfordert Anpassen“
INTERVIEW.
Agilität ist noch wenig erforscht. Professor Cathrin Eireiner zeigt auf, was
sich bereits belegen lässt und welche Erkenntnisse Personaler daraus ziehen können.
personalmagazin:
Warum sollten sich Fir-
men aus Forschungssicht agil aufstellen?
Cathrin Eireiner:
Ich glaube, jeder Organi-
sation und jedem Individuum ist es im-
manent, dass das Überleben Anpassung
und Veränderung erfordert. Daher kann
man auch auf Organisationen das Dar-
winsche Grundverständnis übertragen:
Nur die, die sich an ihre Umwelt anpas-
sen, können bestehen.
personalmagazin:
Wie weit ist das agile Ver-
ständnis schon in der Praxis verbreitet?
Eireiner:
Es gibt eine Reihe von Manage-
ment-Umfragen, die zeigen, dass Agilität
für Organisationen ein wichtiges Thema
ist. Momentan existieren aber wenig kon-
krete Handlungsempfehlungen, wie Un-
ternehmen ihre Agilität steigern. Es fällt
schwer, den Agilitätsgrad als messbare
und vergleichbare Größe zu bestimmen.
Denn dazu fehlt noch ein abgestimmter
Kriterienkatalog. Aufgabe ist es, aus den
Frameworkmodellen zu Treibern und Er-
zeugern von Agilität erfassbare Kriterien
zu operationalisieren – etwa, indem man
prüft: Arbeiten die Mitarbeiter in Teams
und haben sie Entscheidungskompetenz?
Ist die Technologie agil?
personalmagazin:
Gibt es Erkenntnisse
darüber, ob agile Unternehmen wirklich
auf der Erfolgsspur sind?
Eireiner:
Wir sind in der Forschung so
weit, dass wir identifiziert haben, wel-
che Wegbegleiter es für Agilität geben
könnte – also jene, die schon in den ge-
nannten Rahmenbedingungen für Agi-
lität diskutiert werden. Doch es fehlen
noch überprüfende empirische Studi-
en, um quantifizierbare Ergebnisse zu
erzielen und herauszufinden, ob diese
Maßnahmen wirklich zu mehr Agilität
für jede Organisationsform beitragen –
also etwa, ob ein Unternehmen wirklich
dadurch agiler wird, dass dort Mitarbei-
tergespräche vierteljährlich stattfinden
und nicht mehr wie bisher jährlich.
personalmagazin:
Welche Erkenntnisse der
Forschung lassen sich denn schon in
Bezug auf Agilität nutzen?
Eireiner:
Im momentanen Stadium lassen
sich zum Thema „agiles Arbeiten“ be-
kannte, empirisch belegte Theorien nut-
zen. Diese werden auf das Konzept der
Agilität übertragen und so wird bestehen-
PROF. DR. CATHRIN EIREINER
lehrt in
den Human-Resources-Management-Studi-
engängen der HaW Pforzheim und forscht
dort im Institut für Personalforschung.