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Recht
_Urteilsdienst
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Lernen oder Arbeiten? Das Gewollte ist entscheidend
Das Arbeitsgericht Solingen musste sich
mit einem ungewöhnlichen Fall befas-
sen. Es ging um einen Vertrag, der mit
„Arbeitsvertrag“ überschrieben war, bei
dem jedoch streitig war, ob es sich nicht
haben wollte, dass er rechtlich gesehen
einen Arbeitsvertrag geschlossen hatte.
Das Arbeitsgericht sah das anders und
stellte den tatsächlichen Willen der Ver-
tragsparteien in den Vordergrund.
in Wirklichkeit um einen Ausbildungs-
vertrag handelt. Der Betriebsinhaber
ging jedenfalls von einem solchen aus.
Im Gegensatz zu seinem Vertragspart-
ner, der mit seiner Klage festgestellt
Urteil des monats
Die Parteien hatten einen Vertrag geschlossen, der mit der Über-
schrift „Arbeitsvertrag“ überschrieben war. Im Personalfragebogen
wurde dagegen der Begriff „Ausbildung“ verwendet, und tatsäch-
lich wurde der Mitarbeiter im Betrieb auch als Auszubildender
geführt. Er bekam eine Ausbildungsvergütung und wurde seitens
des Betriebs auch bei der Berufsschule angemeldet. Als dann eine
Kündigung wegen „unentschuldigtem Fehlen und Nichtarbeitens
in der Berufsschule“ erfolgte, legte der Mitarbeiter dagegen Klage
ein – mit der Begründung, dass man nicht wegen eines Verstoßes
gegen Ausbildungspflichten gekündigt werden könne, wenn
rechtlich gar kein Ausbildungsverhältnis vereinbart worden sei,
sondern ein normaler Arbeitsvertrag vorliege, der im Übrigen auch
noch nachträglich zu vergüten sei. Das Arbeitsgericht geht in seiner
Urteilsbegründung auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze für
betriebliche Vertragsgestaltungen umfassend ein und macht die
Entscheidung damit zu einem lesenswerten Lehrstück für die Praxis.
Gemäß §133 BGB sei der wirkliche Wille des Erklärenden zu erfor-
schen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften.
Vor diesem Hintergrund sei es auch unschädlich, wenn die Parteien
einen schriftlichen Vertrag unterzeichnet haben, der mit „Arbeits-
vertrag“ betitelt ist. Interessante Ausführungen machen die Solinger
Trinkgeld für alle
Zusammenfassung
Einer Toilettenaufsichtsperson steht ein Anteil
an den Einnahmen zu, welche über in den Besucher-Toilettenanla-
gen aufgestellte Sammelteller erzielt werden.
relevanz
Geklagt hatte eine sogenannte „Sitzerin“, deren Aufgabe
es war, den freiwilligen Obulus von Toilettennutzern „dankend“
entgegenzunehmen und den entsprechenden Sammelteller regel-
mäßig bis auf wenige Geldstücke abzuräumen. Da, so das Argument
des Arbeitgebers, die Besucher ihr Trinkgeld zielgerichtet an das
Reinigungspersonal abgeben würden, könne die „Sitzerin“ davon
nicht profitieren. Das war den Gelsenkirchener Arbeitsrichtern zu
spitzfindig. Sie unterstellten, dass ein Trinkgeld in derartigen Fällen
auch dem bloßen Aufsichtspersonal zugedacht würde.
Doppelte Kündigung
Zusammenfassung
Bei einer außerordentlichen und gleichzeitig
hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung handelt es sich
rechtlich gesehen nur um eine Kündigung.
relevanz
Das BAG ist in seinem Urteil vor allem auf die Folgen
eingegangen, die nach einer Kündigungsschutzklage gegen eine
solche „doppelte“ Kündigung entstehen. Dazu das BAG: „Stellt das
Arbeitsgericht in diesem Fall fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht
durch die schriftliche, außerordentliche Kündigung aufgelöst worden
ist, und verurteilt es die Beklagte zu einer Zeit nach Ablauf der Frist
einer ordentlichen Kündigung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung
des Klägers, hat es damit konkludent auch die Unwirksamkeit der
hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung erkannt.“
Richter auch für den Fall einer fehlenden Ausbildungsberechtigung.
Diese könne möglicherweise Schadensersatzansprüche des Auszu-
bildenden auslösen. Dieses Manko können aber nicht ohne Weiteres
dazu führen, dass aus einem fehlerbehafteten Ausbildungsverhältnis
ein Arbeitsvertrag wird.
Einer Ausbildung liegt rechtlich kein Arbeitsvertrag zugrunde.
Quelle
ArbG Solingen, Urteil vom 21.1.2014, Az. 3 Ca 862/13
Quelle
BAG, Urteil vom 31.1.2014, Az. 2 AZR 597/12
Quelle
ArbG Gelsenkirchen, Urteil vom 22.1.2014, Az. 1 Ca 16013/13