Seite 23 - personalmagazin_2014_04

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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
personalmagazin:
Was bedeutet denn der
Verlust des persönlichen Arbeitsplatzes
im Einzelnen für die Mitarbeiter?
Schiff:
Den Verlust der Privatsphäre zu
verkraften, ist eine große psychische
Herausforderung. Oft resultiert daraus
ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Weil der
eigene Schreibtisch fehlt, gibt es keinen
Rückzugsbereich. Das führt zu Stress
und mitunter sogar zu sozialer Isolation.
personalmagazin:
Warum ist das eigene
Revier im Büro so wichtig?
Schiff:
Territorialität ist schon in der Tier-
welt bekannt: Tiere grenzen ihr Territo-
rium ab, um ihr Überleben zu sichern.
Der Besitz des eigenen Bereichs bedeu-
tet höhere Überlebenschancen. Das gilt
in gewisser Hinsicht auch für den Men-
schen im Büro: Mitarbeiter personalisie-
ren ihren Arbeitsplatz meist schon am
zweiten Arbeitstag. Damit markieren sie
ihren Bereich und grenzen sich von den
anderen ab. Der Verlust des persönlichen
Rückzugsbereichs führt zu einer mas-
siven Entpersonalisierung, Mitarbeiter
fühlen sich austauschbar. Das Unterneh-
men muss das kompensieren, indem es
Rückzugsmöglichkeiten anbietet.
personalmagazin:
Wie gelingt der Wandel
hin zu non-territorialen Formen?
Schiff:
Führungskräfte und HR müssen
den Mitarbeitern das Gefühl vermitteln,
die Entscheidung mitzutragen. Zudem
sollten sie die Vorteile aufzeigen, wie den
erhöhten kollegialen Austausch und den
damit verbundenen Wissensgewinn.
„Ein Gefühl der Heimatlosigkeit“
INTERVIEW.
Non-territoriale Büroformen senken Kosten und fördern den kollegialen
Austausch. Doch der Verlust des persönlichen Arbeitsplatzes birgt auch Risiken.
personalmagazin:
Was bedeutet Non-Territo-
rialität für den Arbeitsplatz?
Anna Sophie Schiff:
Non-Territorialität be-
deutet, dass es keine festen Bereiche für
einzelne Mitarbeiter gibt. Das Hauptkon-
zept ist das Desk Sharing: Mehrere Mit-
arbeiter teilen sich einen Arbeitsplatz.
Manche Firmen gehen ganz weg von
Schreibtischen und bieten futuristische
Büros mit Couch, Billard und Yogaraum.
personalmagazin:
Sind non-territoriale
Arbeitsplätze das Konzept der Zukunft?
Schiff:
Ob solche Arbeitsplatzformen für
ein Unternehmen zukunftsfähig sind,
hängt davon ab, welche Arbeit die Mit-
arbeiter verrichten und welche Kommu-
nikation diese untereinander erfordert:
Wenn die Mitarbeiter viel unterwegs
oder im Team arbeiten, sind non-terri-
toriale Formen wirtschaftlich rentabler
und sinnvoller für die Arbeitsabläufe. Die
Verantwortlichen müssen also Kosten
und Nutzen gegeneinander abwägen.
personalmagazin:
Was können Unterneh-
men konkret sparen, wenn sie sich für
non-territoriale Formen entscheiden?
Schiff:
Studien belegen, dass Unterneh-
men dadurch bis zu 60 Prozent der Ar-
beitsplatzkosten sparen. Doch sie gewin-
nen nicht nur finanziell: Das Konzept
verbessert auch das Image, da der Arbeit-
geber sich als offen, transparent, flexibel,
kommunikativ und zukunftsorientiert
darstellt. Gerade IT-Unternehmen, die ja
ständig unter Innovationsdruck stehen,
nutzen non-territoriale Formen – denn
der flexible Arbeitsort soll die Kreativität
der Mitarbeiter steigern.
personalmagazin:
Diese Flexibilität muss
aber auch koordiniert werden …
Schiff:
Flexible Büroformen bedeuten in
der Tat einen hohen organisatorischen
Aufwand für das Unternehmen. Eine Bu-
chungssoftware kann zwar helfen, die
Arbeitsplätze zu verwalten und deren
Auslastung zu analysieren. Das funkti-
oniert aber nicht, wenn ein Mitarbeiter
seinen Platz länger braucht, als er ihn ge-
bucht hat. In der Praxis zeigt sich zudem,
dass es morgens oft einen Run auf die
besten Plätze gibt und sich die gleichen
Mitarbeiter immer wieder an die glei-
chen Schreibtische setzen. Der Verlust
des persönlichen Arbeitsplatzes birgt
also ein hohes Konfliktpotenzial.
Das Interview führte
Andrea Kraß.
anna sophie schiff
ist Arbeits- und
Organisationspsychologin. Sie forscht zu den
psychischen Auswirkungen und Herausfor-
derungen von Trends in der Arbeitswelt.