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Management
_Ausbildung
Eltern starten in Teilzeit durch
PRAXIS.
Seit 2005 können Eltern ihre Ausbildung in Teilzeit absolvieren. In der Praxis
ist dies aber selten – obwohl Unternehmen oft sehr gute Erfahrungen damit machen.
A
nita Leisner hat nach der
neunten Klasse die Schule
geschmissen und zwei Jahre
später eine Tochter geboren.
Nach einer kurzen Auszeit hat sie ihren
Schulabschluss nachgeholt und sich da-
nach um kaufmännische Lehrstellen be-
worben. Doch es hagelte Absagen.
Ähnlich wie Anita Leisner ergeht es
bundesweit rund 230.000 allein erzie-
henden Frauen, die durch das Raster
der Recruiter fallen und auf die Grund-
sicherung Hartz IV angewiesen sind.
„Fast die Hälfte dieser Frauen hat keine
abgeschlossene Berufsausbildung“, er-
klärt die Sprecherin der Bundesagentur
für Arbeit Anja Huth. „Da steckt viel
brachliegendes Potenzial, das von den
Unternehmen nicht beachtet wird.“
Anita Leisner hatte Ausdauer. „Ich
habe jahrelang einen Ein-Euro-Job nach
dem anderen übernommen, denn ich
wollte unbedingt etwas tun“, erzählt sie.
Dann bekam sie doch noch ihre Chance.
Die Arbeitsagentur startete 2011 eine
Kooperation mit der Telekom, die allein
erziehende Hartz-IV-Empfänger über ein
einwöchiges Schnupperpraktikum in ei-
ne Berufsausbildung vermitteln sollte.
Dabei wurde das technische Talent der
zweifachen Mutter entdeckt. „Jetzt ma-
che ich eine Ausbildung zur IT-System-
kauffrau – in Teilzeit. Das ist das Beste,
was mir passieren konnte, denn ich er-
lerne einen spannenden Beruf und habe
dabei ausreichend Zeit für meine Kinder.
Besonders hilft mir die enge Betreuung
meiner Ausbilderin. Wir tauschen uns
Von
Irene Winter
viel miteinander aus, zum Beispiel über
Sorgen und Probleme, und wir führen re-
gelmäßig Reflexionsgespräche“, sagt die
junge Auszubildende aus Brandenburg,
die im zweiten Lehrjahr DSL-Leitungen
bei Kunden installiert und Systemstö-
rungen beseitigt.
Instrument für die Talentsicherung
„Wir bilden momentan 33 allein erzie-
hende Mütter, die auf Hartz IV ange-
wiesen sind, in Teilzeit aus. Zwei von
ihnen absolvieren bei uns ein Teilzeit-
studium“, berichtet Husam Azrak, Tele-
kom-Sprecher für den Bereich Personal.
„Diese Frauen haben alle eine 25-Stun-
den-Woche, wobei wir flexibel ihre indi-
viduellen Bedürfnisse berücksichtigen
und die Ausbilder bei der Wahl geeig-
neter Betriebseinsätze unterstützen.“
Die Erfahrungen seien durchwegs po-
sitiv. „Wir können uns vorstellen, das
Projekt auszuweiten, denn gerade für
die technischen Berufe werden wir auch
in Zukunft viele Nachwuchskräfte be-
nötigen.“ Junge Mütter hätten sich für
die Telekom als geeignete Zielgruppe
erwiesen. „Sie haben schon früh ge-
lernt, Verantwortung zu übernehmen,
sie sind belastbar, sehr selbstständig,
überdurchschnittlich engagiert, loyal
und haben facettenreiche soziale Kom-
petenz“, sagt Azrak. „Ihre Leistungen in
der Berufsschule und im Arbeitsalltag
liegen meist über dem Durchschnitt
und sie fehlen auch nicht häufiger als
andere Auszubildende. Einige unserer
Teilzeitazubis konnten sogar die Ausbil-
dungsdauer aufgrund guter Leistungen
auf zweieinhalb Jahre verkürzen.“
Bedenken aus dem Weg räumen
Ähnlich wie die Telekom haben auch
andere Unternehmen inzwischen die
Zielgruppe der jungen Eltern auf ihrem
Radar und rüsten sich für den Kampf
um Fachkräfte. So will zum Beispiel die
Deutsche Bahn (DB) ab September die
ersten Teilzeitausbildungen in diversen
Geschäftsbereichen starten. „Bei unse-
ren strategischen Planungen haben wir
geschaut, welche Zielgruppe wir noch
ansprechen können, die wir bisher au-
ßer Acht gelassen haben. So sind wir auf
junge Eltern gekommen. Wir wollen tes-
ten, ob für sie Ausbildungen in Teilzeit
funktionieren können“, sagt Christof
Beutgen, Leiter Grundsätze Mitarbei-
„Ich mache eine Ausbildung zur IT-System-
kauffrau – in Teilzeit. Das ist das Beste,
was mir passieren konnte.“
Anita Leisner, Auszubildende in Teilzeit bei der Telekom AG