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gegen deutsches Recht verstoße, dem
EuGH am 4. September 2012 (Az. 2 Ca
257/12) vor.
EuGH: Kürzung ist nicht zulässig
Der EuGH schloss sich der Auffassung
des ArbG Nienburg am 13. Juni 2013
(Az. 415/12) an. Es sei nicht zulässig, die
Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs,
die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitneh-
mer während der Vollzeit nicht habe in
Anspruch nehmen können, wegen des
Übergangs dieses Arbeitnehmers zu ei-
ner Teilzeitbeschäftigung entsprechend
dem Verhältnis zu kürzen, in dem die
von ihm vor diesem Übergang geleistete
Zeit der wöchentlichen Arbeitstage zu
der danach geleisteten Zahl stehe. Der
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub
sei ein besonders bedeutsamer Grund-
satz des Sozialrechts der Union. Deshalb
dürfe der Anspruch nicht restriktiv aus-
gelegt werden. Der Pro-rata-temporis-
Grundsatz dürfe zwar auf die Gewäh-
rung des Jahresurlaubs für die Zeit der
Teilzeitbeschäftigung angewendet wer-
den. Hier sei die Minderung des An-
spruchs auf Jahresurlaub aus sachlichen
Gründen gerechtfertigt. Hingegen könne
dieser Grundsatz nicht nachträglich auf
einen Anspruch auf Jahresurlaub ange-
wandt werden, der in der Zeit der Voll-
zeitbeschäftigung erworben wurde.
Gestaltungsmöglichkeiten prüfen
Die negativen Erfahrungen deutscher
Arbeitgeber vor dem EuGH zum Ur-
laubsrecht setzen sich damit fort, es
bleibt jedoch Gestaltungsspielraum. Der
Arbeitgeber muss hinnehmen, dass Ar-
beitnehmer, die ihren für den Zeitraum
der Vollzeit entstandenen Jahresurlaub
nach einem Wechsel in Teilzeit nehmen,
länger fehlen können, als dies zu Zeiten
von Vollzeit der Fall war. In Anknüpfung
an die Tirol-Entscheidung wird der Ar-
beitgeber ebenfalls hinnehmen müssen,
dass er die Urlaubstage, die für Tage der
Vollzeit entstanden sind, wie einen Voll-
zeiturlaubstag bezahlen muss, selbst
wenn der Arbeitnehmer mittlerweile
an einem Arbeitstag weniger als acht
Stunden Teilzeitarbeit leistet.
Es sollte
aber nicht übersehen werden, dass der
EuGH nur bezüglich des gesetzlichen
Mindesturlaubs entschieden hat, der eu-
ropaweit 20 Urlaubstage bei einer Fünf-
Tage-Woche beträgt. Es lohnt sich damit,
zwischen gesetzlichem und übergesetz-
lichem Urlaub in Arbeitsverträgen zu
unterscheiden.
Neben den bereits vielfach erteilten
Hinweisen zum Kürzungsrecht von
übergesetzlichem Urlaub bei unterjäh-
rigem Ausscheiden und Krankheit sollte
ergänzend aufgenommen werden, wel-
che Quotierungsmöglichkeiten sich der
Arbeitgeber bei Wechsel von Voll- in Teil-
zeit für den übergesetzlichen Urlaub vor-
behalten möchte. Schließlich sei jeder
Arbeitnehmer daran erinnert, dass der
nicht tarifgebundene Arbeitgeber sich
auch auf den gesetzlichen Urlaubsan-
spruch von 20 Tagen pro Kalenderjahr
beschränken könnte. Mithin kann es
auch künftig nicht unzulässig sein, für
das Geschenk des übergesetzlichen
Urlaubs besondere Umrechnungsvor-
schriften in Abweichung vom gesetz-
lichen Mindesturlaub vorzusehen.
Ist der Arbeitgeber hingegen tarifge-
bunden, kann er nur hoffen, dass im
Tarifvertrag deutlich zwischen gesetz-
lichem und tariflichem Mehrurlaub
differenziert wird und der Tarifvertrag
entsprechende Quotierungsmöglich-
keiten einräumt. Die Entwicklung im
Urlaubsrecht bleibt damit spannend.
Dr. Martin Römermann
ist Partner bei SKW Schwarz
Rechtsanwälte in Berlin.
Muster
Nachträgliche Zusatzvereinbarung
bei Reduzierung der Arbeitszeit (HI874882)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
her erworbenen Urlaubsanspruchs für
fragwürdig hält (EuGH, Az. C-486/08).
Damals ging es aber nur um das Ur-
laubsentgelt, nicht die Anzahl der Ur-
laubstage. Eine spätere Realisierung
des vorher erworbenen Urlaubsan-
spruchs steht nach Auffassung des
Europäischen Gerichtshofs in keiner
Beziehung zu der im Realisierungszeit-
raum geltenden Arbeitszeit. Für den
Teil des Urlaubsanspruchs, der vor der
Arbeitszeitänderung erworben (und
noch nicht realisiert) wurde, ist danach
auch hinsichtlich des Urlaubs­entgelts
noch die frühere Arbeitszeit maßgeb-
lich, wenn dieser Urlaubsanspruch
nach der Arbeitszeitänderung erfüllt
wird.
Da die Entscheidung jedoch Österreich
betraf, wo der Urlaub grundsätzlich in
Stunden und nicht wie in Deutschland
nach Wochen gerechnet wird, wurde ei-
ne Übertragbarkeit dieser Entscheidung
auf das deutsche Urlaubsrecht vielfach
abgelehnt. Wenn überhaupt, sollte eine
Verkürzung der Urlaubstage ungeachtet
der Tirol-Entscheidung erfolgen können.
Jedoch sei infolge der Tirol-Entscheidung
des EuGH während des (gekürzten) Ur-
laubs das Vollzeitgehalt zu bezahlen.
Der Nienburger Vorlagebeschluss
Das Arbeitsgericht Nienburg sah sich
nunmehr aber mit einer Rückkehre-
rin aus der Elternzeit konfrontiert. Sie
nahm den aus der Elternzeit stammen-
den Urlaub in die Elternteilzeit herüber
und sah sich einer ungerechtfertigten
Kürzung dieser Urlaubstage durch den
Arbeitgeber ausgesetzt.
Das Arbeitsgericht Nienburg stimmte
der Mitarbeiterin zu und ging davon
aus, dass die Kürzung des noch nicht
verbrauchten Erholungsurlaubs aus der
Vollzeit den Arbeitnehmer benachteili-
ge. Es handele sich um einen Verstoß
gegen § 4 Nr. 1 und Nr. 2 der Rahmenver-
einbarung über Teilzeitarbeit imAnhang
der Richtlinie 97/81. Das Arbeitsgericht
Nienburg legte die Frage, wie das euro-
päische Recht auszulegen sei und ob es