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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Recruiting
: Auf den ersten Blick
scheint das Recruiting von Autisten
nicht schwierig zu sein. Auticon findet in
Kooperation mit der Freien Universität
Berlin in Assessments heraus, wer sich
am besten eignet. Gefragt sind neben der
gewünschten Affinität zur IT auch die
„psychosoziale Eignung“, im ersten Ar-
beitsmarkt tätig zu sein. Entscheidend
für die Auswahl ist die „Fähigkeit zur
logischen Problemlösung“. Doch ob Per-
sonaler auf die ungewöhnliche Situati-
on im Vorstellungsgespräch vorbereitet
sind – wie von Peinen schildert: „wenn
Bewerber gesenkten Blicks den Raum
betreten und sich im Gespräch am Stuhl
festklammern“ – mag bezweifelt wer-
den. An der Bereitschaft, sich für neue
Zielgruppen zu öffnen, fehle es häufig,
so die Auticon-Niederlassungsleiterin.
Kommunikation:
Ohne Betreuung
durch spezialisierte Dienstleister wür-
den Autisten und Arbeitgeber vorläufig
nicht zueinanderfinden, räumt auch
Marc Ruckebier ein. Eigentlich benötige
man für die optimale Gesprächsführung
„eine Art von Dolmetscher“, sagt Angela
Holtze, Autismusexpertin vom Bildungs-
träger Salo und Partner in Hamburg .
Wichtig sei, dass Bewerber sich auf we-
nige Gesprächspartner konzentrieren
könnten und Fragen nicht zu schnell und
in rascher Abfolge abgehandelt würden.
„Sonst können Blockaden hervorgerufen
werden, die häufig einen Gesprächsab-
bruch nach sich ziehen“, so Holtze.
Betreuung:
Eine zentrale Aufgabe
nach Einstellung der Autisten ist ihre
persönliche Betreuung. Laut Gerda Kös-
ter, bei Vodafone für Diversity und In-
klusion zuständig, solle eine Person als
Ansprechpartner berufliche wie private
Unterstützung anbieten. „Jemanden um
Hilfe zu bitten zählt nicht zu den Stär-
ken von Autisten“, sagt sie. Bei Vodafone
übernimmt diese Aufgabe ein Job-Coach
von Auticon. Auch eine intensive Vorbe-
reitung des Umfelds gehöre dazu. Mit-
arbeiter und Führungskräfte müssten
lernen, welche Handicaps mit dem
Asperger-Syndrom verbunden sind und
wie sie damit umgehen sollten.
Organisation
: Zusätzlich rät Angela
Holtze zur Einführung klarer Struk-
turen: „Wie steht es um Arbeitszeiten,
wo kann der Beschäftigte seine Pause
verbringen?“ Mit dem Small Talk seien
viele Autisten überfordert und benötig
ten Räumlichkeiten zum Rückzug.
Personalentwicklung:
Prössl liegt vor
allem die Personalentwicklung am Her-
zen. „Über das Konzept müssen wir uns
mit SAP noch einigen“, sagt er. Vielen
Autisten liege repetitive Arbeit, also jene
Aufgaben in Tests und Qualitätskontrol-
len, die von „normalen“ Beschäftigten
meist gemieden werden. Anzunehmen,
Autisten seien damit zufrieden, greife
jedoch zu kurz. „Viele wollen sich weiter-
entwickeln und sogar fachliche Führung
übernehmen, ohne Personalverantwor-
tung tragen zu müssen“, so Prössl. Team-
fähigkeit und vor allem Leadership als
gängige Entwicklungsziele kämen freilich
nicht in Betracht.
Das Heft in die Hand nehmen
Halten wir fest: HR muss das Heft in die
Hand nehmen. Thomas Heymel von der
Stiftung Pfennigparade in München emp-
fiehlt den HR-Abteilungen interessierter
Unternehmen, Netzwerke zu entwickeln,
„möglichst über einen Großteil der Fach-
bereiche hinweg“. Hierin sollte der Nut-
zen von Autisten kommuniziert werden.
Rückenwind erhielten solche Netzwerke,
wenn in der Belegschaft dank des tägli-
chen Umgangs mit Autisten der Eindruck
zunehme, „das Unternehmen schmückt
sich nicht allein mit dem Aushängeschild
gesellschaftlicher Verantwortung, son-
dern lebt es auch glaubwürdig vor.“
© auticon
Martin Drucks, der das Asperger-Syndrom hat, testet am Hauptsitz von Auticon in Berlin Software für die Kunden des IT-Dienstleisters.
Winfried Gertz
ist freier Journalist in
München.