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personalmagazin 03 / 13
kommentar
recht
_Minijobreform
der Bundesregierung, man wolle die
Arbeitgeberarbeit in Sachen Personal
entbürokratisieren, nicht mehr so recht
Glauben schenken können.
Sie müssen fortan zwischen unter-
schiedlichen Fallgruppen von Minijob-
bern unterscheiden und vor allem für
die richtige Abwicklung der „Befreiung
auf Antrag“ durch entsprechende Mel-
deformen Sorge tragen.
Eingangsstempel wird unabdingbar
Die Befreiung von der Rentenversiche-
rungspflicht gilt ab dem Beitragsmonat,
in dem der Befreiungsantrag beim Ar-
beitgeber eingegangen ist. Somit wird
dem guten alten Eingangsstempel die
wichtigste Funktion bei der Minijobver-
waltung zugewiesen, denn nur er belegt
bei einer späteren Betriebsprüfung, ob
und ab wann der einzelne Minijobber
ohne Eigenbeiträge zur Rentenversi-
cherung abzurechnen ist. Hinweisen
muss der Arbeitgeber seine geringfügig
Beschäftigten aber keineswegs auf die
Möglichkeit eines solchen Befreiungs-
antrags, was den Entgeltabrechnern
nicht wirklich weiterhilft. Im Gegenteil:
Der Aufwand steigt an, wenn „unaufge-
klärte“ Mitarbeiter erst später von ih-
rem Befreiungsrecht erfahren und ihr
späterer Antrag dann eine erneute „Um-
schlüsselung“ auslöst.
Meldefiasko bei der Entgelterhöhung
Dass der Gesetzgeber bei Abfassung der
Minijobreform nicht an die praktische
Umsetzung gedacht hat, wird bei der
Umstellung von Bestandsmitarbeitern,
deren Entgelt über 400 Euro angehoben
wird und die (erwartungsgemäß) einen
Befreiungsantrag stellen, deutlich. Die-
se Mitarbeiter werden sowohl nach alter
als auch nach neuer Rechtslage iden-
tisch „geschlüsselt“. Gleichzeitig muss
der Minijobzentrale aber auch gemeldet
werden, dass ein Befreiungsantrag vor-
liegt, was die Sozialversicherungsträger
zunächst wie folgt beschrieben: Man
müsse diese Mitarbeiter zunächst mit
Meldegrund 33 abmelden und sodann
mit Meldegrund 13 wieder mit dersel-
ben Schlüsselkombination anmelden.
Womit man nicht gerechnet hatte, war,
dass dies, technisch von den Lohnab-
rechnungsprogrammen bisher nicht
vorgesehen, nicht funktionieren konnte.
Die Folge: In diesen (sehr häufigen) Fäl-
len muss ein Antrag schriftlich erstellt
und per Post oder Fax an die Minijob-
zentrale gemeldet werden.
Bürokratiegipfel: Die Zwitterfälle
Als Höhepunkt der neuen Minijobbüro-
kratie hat sich das Übergangsrecht für
Bestandsmitarbeiter, die zwischen 400
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Die Einbeziehung der Minijobber in die
Rentenversicherung ist eine Reaktion auf
die Erfahrungen des bisherigen Minijob-
rechts, bei dem man vergeblich darauf
gesetzt hat, dass Geringverdiener selbst
Verantwortung zeigen und sich durch
„Verzicht auf die Rentenversicherungsfrei-
heit“ freiwillig für eine „Selbstbeteiligung“
entscheiden. Hier waren es weniger als
zehn Prozent aller Minijobber, die sich für
die Zuzahlungsvariante entschieden haben.
Vor diesem Hintergrund ist die Umstellung
auf die generelle Rentenversicherungs-
pflicht eine Maßnahme, die man politisch
vertreten kann, wenn nicht sogar muss.
Auch dass es hier begründete Ausnahmen
geben sollte, gebietet die Vernunft. So ist
es sicherlich nicht besonders dringlich, Mini-
jobbern, die in einem Hauptberuf bereits
sozialversicherungspflichtig beschäftigt
sind, noch zusätzliche Minimalbeiträge
abzuknöpfen. Wie aber sieht stattdessen
die derzeitige Lösung aus? Eine Unterschrift
reicht und schon kann sich jeder Minijobber
der beabsichtigten sozialen Absicherung
entziehen, was sich am schnellsten unter
den Minijobbern herumsprechen wird, die
man mit der Minijobreform im Auge hat,
nämlich bei denen, die außerhalb ihres
Minijobs keine weiteren Einkünfte mehr
haben. Wirklich schlimm ist aber, dass dies
voraussehbar war, denn in der Gesetzesbe-
Den Pelz waschen, aber nicht nass machen
Die Umstellung des Minijobsystems ist sozialpolitisch nachvollziehbar. An einen Erfolg
glaubt jedoch selbst der Gesetzgeber nicht, denn er hat in seiner Gesetzesbegründung
vermerkt, dass 90 Prozent der Minijobber vom Befreiungsrecht Gebrauch machen werden.
gründung findet sich eine Prognose, dass
wohl mindestens 90 Prozent aller Minijob-
ber einen Befreiungsantrag stellen werden.
So gesehen, ist es jetzt skandalös, wenn
den Personalabteilungen die Abwicklung
eines „untauglichen Versuchs“ auferlegt
wird. Versuche, dies mit dem Argument zu
relativieren, der Arbeitgeber brauche ja nie-
manden auf sein Befreiungsrecht aufmerk-
sam machen, entbehren dabei jeglichen
Praktikerverstands. Denn wer sich Aufwand
und Ärger ersparen will, der macht das
Gegenteil. Er befragt seine Minijobber, ob
sie sich befreien lassen wollen, und über-
reicht ihnen vorsorglich einen Befreiungs-
antrag.
Thomas Muschiol
ist Rechtsanwalt und
Leiter des Ressorts
Recht im Personalma-
gazin.