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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
dung des BAG eben nicht als generelle
Aussage über eine Vergütungspflicht zu
verstehen ist, können Sie dem nachfol-
genden Expertenrat entnehmen.
Anordnungsrecht bleibt unberührt
Das Überstundenurteil des BAG hat aber
auch Unsicherheit über die Frage ausge-
löst, ob und inwieweit damit dem Arbeit-
geber neue Schranken auferlegt wurden,
vom Arbeitnehmer überhaupt Überstun-
den verlangen zu können. Auch hier
ist zu beachten, dass die vom BAG auf-
gestellten Vergütungsgrundsätze mit
der Frage, wann ein Arbeitnehmer ver-
pflichtet ist, Überstunden abzuleisten, in
keinem unmittelbaren Zusammenhang
stehen. Dazu der Freiburger Fachanwalt
für Arbeitsrecht, Dr. Peter H. M. Ram-
bach: „Die Frage, ob und inwieweit ein
Arbeitgeber das Recht hat, Überstunden
auch einseitig anzuweisen, ist von der
AGB-Prüfung über eine Vergütungs-
pflicht vollständig zu trennen.“
Auch muss eine Überstundenpflicht
nicht zwingend vertraglich geregelt wer-
den, ergänzt Dr. Matthias Köhler, Rechts-
anwalt bei Baker & McKenzie. Er weist
darauf hin, dass sich aus dem in § 106
GewO definierten allgemeinen Direkti-
onsrecht in Verbindung mit § 242 BGB
die Möglichkeit ergibt, Überstunden auch
einseitig anzuordnen, wenn dies drin-
gend erforderlich ist.
Für den Praktiker bleibt daher die Er-
kenntnis: Richterrecht ist Einzelfallrecht
und über allem steht der altbekannte Ju-
ristensatz: „Es kommt darauf an“.
Die Unwirksamkeit einer Überstundenklau-
sel führt keinesfalls automatisch zu einer
Vegütungspflicht. Ein Vergütungsanspruch
für Überstunden besteht nämlich nur dann,
wenn die Mehrarbeit den Umständen nach
nur gegen eine Vergütung erwartet werden
kann. Das ist häufig nicht der Fall.
Nach dem BAG ist die Vergütungserwartung
anhand eines objektiven Maßstabs festzu-
stellen. Dabei sind die Verkehrssitte, die Art,
der Umfang und die Dauer der Dienstleis-
tung sowie die Stellung der Beteiligten zu-
einander festzustellen. Die Rechtsprechung
hat Fallgruppen entwickelt, bei denen es
an einer solchen Vergütungserwartung
regelmäßig fehlt. Dies gilt unabhängig
davon, ob eine (wirksame) Überstunden-
klausel in den Arbeitsvertrag aufgenommen
wurde. Praktisch besonders relevant ist
die Fallgruppe der sogenannten „deutlich
herausgehobenen Vergütung“. Übersteigt
das Gehalt die Beitragsbemessungsgren-
ze der gesetzlichen Rentenversicherung
(zurzeit 69.600 Euro West und 58.800 Euro
Ost), kann laut BAG davon ausgegangen
werden, dass der Arbeitnehmer nach der
Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben und
nicht nach einer bestimmten Stundenzahl
vergütet wird. Gleiches gilt bei Diensten
höherer Art, wie sie zum Beispiel leiten-
de Angestellte ausüben. Zur Begründung
führt die Rechtsprechung an, es entspreche
der objektiven Verkehrsanschauung, dass
leitende Angestellte keine stundengenaue
Abrechnung verlangen, sondern überobli-
gatorisches Engagement im Gegenzug zu
anderen Privilegien leisten. So hat zum Bei-
spiel das LAG Hamm entschieden, dass eine
40-Stunden-Woche für einen Personalleiter
ungewöhnlich sei, vielmehr seien hier Ar-
beitszeiten üblich, die weit darüber liegen
(LAG Hamm, Urteil vom 6.1.2012, Az. 19 Sa
896/11). Dies kann auch für Arbeitnehmer
gelten, die als zusätzliche Vergütung eine
Provision erhalten. Nur wenn besondere
Umstände hinzutreten, besteht ausnahms-
weise ein Vergütungsanspruch (BAG, Urteil
vom 27.6.2012, Az. 5 AZR 530/11).
Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und
beweispflichtig für das Bestehen einer Ver-
gütungserwartung und für die tatsächliche
Erbringung von Überstunden. Für Altverträ-
Keine Vergütungsautomatik
expertentipp
Die Feststellung einer unwirksamen Überstundenklausel bedeutet
keineswegs, dass Überstunden bezahlt werden müssen. Dies ist
dann nicht der Fall, wenn keine Vergütungserwartung besteht.
ge, die eine offene Überstundenklausel ent-
halten, wird das Risiko für Arbeitgeber, von
Arbeitnehmern in Anspruch genommen zu
werden, durch diese Beweislastverteilung
zusätzlich verringert. Der Arbeitnehmer
muss auch darlegen und beweisen, dass er
keiner der oben genannten Fallgruppen an-
gehört, und an welchen Tagen er von wann
bis wann auf Weisung des Arbeitgebers
Arbeit geleistet hat. Eigene Aufzeichnungen
des Arbeitnehmers sind nicht ausreichend,
weil ihnen kein Beweiswert zugebilligt
wird. Enthält der Arbeitsvertrag eine
wirksame Verfallklausel, wonach Ansprüche
innerhalb einer Frist von drei Monaten ab
Fälligkeit geltend gemacht werden müssen,
kann das Risiko der Inanspruchnahme wei-
ter reduziert werden.
Bei der Nutzung von Arbeitszeitkonten kann
es problematisch sein, den Fälligkeitszeit-
punkt zu bestimmen. Bei Freistellung nach
Ausspruch einer Kündigung sollte darauf
geachtet werden, die Freistellungsklausel
so zu formulieren, dass auch etwaige Über-
stunden während der Freistellung abgebaut
werden.
Dr. Matthias Köhler,
LL.M. (Sydney), und
Dr.
Esther Holzinger,
LL.M.
(Wellington), sind Rechtsan-
wälte bei Baker & McKenzie
in Berlin und München.
Fachbeitrag
Bezahlung von Überstunden
(HI3460828)
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