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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
beide Parteien zumutbar sei. Das Bun-
desarbeitsgericht ist jedoch erwartungs-
gemäß seinem bisherigen Verständnis
des Betriebsbegriffs im Kündigungs-
schutzgesetz treu geblieben und hat nun
auch für die Frage nach dem anderwei-
tigen freien Arbeitsplatz entschieden,
dass nur Arbeitsplätze in deutschen
Betrieben anzubieten sind. Diese Ent-
scheidung des Bundesarbeitsgerichts
ist insofern die einzig konsequente Lö-
sung. Jede andere Entscheidung hätte
für ein unterschiedliches Verständnis
des Betriebsbegriffs innerhalb des Kün-
digungsschutzgesetzes gesorgt. Auch ei-
ne Berufung auf die Unzumutbarkeit der
anderweitigen freien Stelle im Ausland
hätte nicht oder nur im Ausnahmefall
genügt, um hier Rechtsklarheit zu schaf-
fen. Nach der Rechtsprechung des Bun-
desarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber
nur in einer „Extremsituation“ darauf
verzichten, einen schlechteren oder ver-
meintlich unzumutbaren Arbeitsplatz
dem Arbeitnehmer anzubieten (BAG,
Entscheidung vom 21.9.2006, 2 AZR
607/05). Eine derartige Extremsituati-
on ist zum Beispiel gegeben, wenn der
Arbeitnehmer zweifelsfrei hat erkennen
lassen, dass er das Änderungsangebot in
keinem Fall annehmen werde.
Die Entscheidung des Bundesarbeits-
gerichts kommt daher nicht überra-
schend, schafft aber erfreulicherweise
für kündigende Arbeitgeber zukünftig
Rechtssicherheit. Damit ist künftig ein-
deutig geklärt, dass freie Arbeitsplätze
im Ausland einer betriebsbedingten
Beendigungskündigung in Deutschland
nicht entgegenstehen.
Bei einer Komplettverlagerung ist
weiterhin Vorsicht geboten
Ausdrücklich dahinstehen lassen hat
das Bundesarbeitsgericht nach der Pres-
semitteilung die Frage, ob die in dieser
Entscheidung vertretene Beschränkung
des Betriebsbegriffs auf innerdeutsche
Betriebe einer Berücksichtigung einer
Beschäftigungsmöglichkeit im Ausland
entgegensteht, wenn ein kompletter Be-
trieb oder Betriebsteil unter Identitäts-
wahrung verlagert wird.
Damit eröffnet das BAG ein Einfallstor
für weitere Rechtsstreitigkeiten. Durch
diese Formulierung scheint weiter offen
zu sein, welche Rechtsfolgen zu erwar-
ten sind, wenn ein Betrieb in Deutsch-
land geschlossen und komplett unter
Identitätswahrung ins Ausland verlagert
wird. Das BAG hat bereits mit Urteil vom
26.5.2011, 8 AZR 37/10, festgestellt, dass
bei einer Betriebs(teil)verlagerung ins
Ausland ein Betriebsübergang vorliegen
kann und die Arbeitsverhältnisse der be-
troffenen Arbeitnehmer auf den Erwer-
ber übergehen. Ob das BAG die bisherige
Rechtsprechung nun infrage stellt oder
lediglich andeuten will, dass ein freier
Arbeitsplatz in einem deutschen Betrieb,
der unter Identitätswahrung ins Ausland
verlagert wurde, einem in einem ande-
ren Betrieb des Unternehmens von ei-
ner Kündigung betroffenen Mitarbeiter
angeboten werden muss, ist unklar. Hier
bleibt abzuwarten, ob das Bundesar-
beitsgericht in den Entscheidungsgrün-
den nähere Ausführungen vornimmt.
Bei Leiharbeitnehmern steht eine
endgültige Klärung noch aus
Die zweite Streitfrage, ob mit Leihar-
beitnehmern besetzte Arbeitsplätze als
anderweitige freie Arbeitsplätze gelten,
die Arbeitnehmern vor Ausspruch einer
betriebsbedingten Kündigung anzubie-
ten sind, hat das Bundesarbeitsgericht
mit Entscheidung vom 15.12.2011, 2 AZR
42/10, dahingehend beantwortet, dass je-
denfalls vertretungsweise oder zur Abde-
ckung von Arbeitsspitzen mit Leiharbeit-
nehmern besetzte Arbeitsplätze nicht
als frei im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG
gelten (Lipinski/Praß, Personalmagazin
12/2012, Seite 72).
Die LAG-Rechtsprechung (LAG Ber-
lin vom 3.3.2009, 12 Sa 2468/08; LAG
Hamm vom 6.8.2007, 8 Sa 2311/04; LAG
Hamm vom 5.3.2007, 11 Sa 1338/06)
hatte den vorrangigen Abbau der Leih-
arbeitnehmer vor der betriebsbedingten
Kündigung eigener Arbeitnehmer gefor-
dert, soweit die Leiharbeitnehmer nicht
nur vorübergehend zur Abdeckung von
Auftragsspitzen oder Vertretungen ein-
gesetzt sind. Die Landesarbeitsgerichte
hatten bei der betriebsbedingten Kün-
digung eigener Arbeitnehmer die von
Leiharbeitnehmern dauerhaft besetzten
Arbeitsplätze als freie Arbeitsplätze im
Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gewertet und
die Kündigungen daran scheitern lassen.
Auch das BAG hatte mit Urteil vom
1.3.2007, 2 AZR 650/05, entschieden,
dass Arbeitsplätze, die als sogenannte
Rahmenverträge extern vergeben wer-
den, nur dann nicht frei im Sinne eines
anderweitigen Arbeitsplatzes sind, wenn
ausgeschlossen ist, dass auch nicht ver-
tretungsbedingter Beschäftigungsbedarf
in größerem Umfang durch die Rahmen-
verträge abgedeckt wird.
In der Entscheidung vom 15.12.2011
bestätigte das BAG noch einmal, dass
ein mit Leiharbeitnehmern besetzter
Arbeitsplatz nicht als frei gilt, wenn die
Leiharbeitnehmer zur Abdeckung von
Auftragsspitzen oder Vertretungsbedarf
eingesetzt werden. Über die Frage, ob ein
Arbeitgeber – entgegen seiner ausdrück-
lichen konzeptionellen Unternehmerent-
scheidung, einen Teil der anfallenden
Arbeit durch Leiharbeitnehmer ver-
richten zu lassen – gezwungen werden
kann, diese Leiharbeitnehmer vor der
Kündigung eigener Arbeitnehmer abzu-
bauen, hat das BAG nicht entschieden.
Aus Sicht der Verfasser des Beitrags
würde eine solche BAG-Entscheidung
der grundgesetzlich geschützten freien
Unternehmerentscheidung nicht genü-
gend Rechnung tragen.
Dr. Wolfgang Lipinski
ist Fachanwalt für Arbeits-
recht bei Beiten Burkhardt in
München.
Anne PraSS
ist Rechtsan-
wältin bei Beiten Burkhardt
in München.