Seite 50 - personalmagazin_2013_11

Basic HTML-Version

50
Organisation
_Organisationsaufbau
personalmagazin 11 / 13
es vorkommen, dass je nach Reife- und
Autonomiegrad diese Kunden- und Pro-
duktteams auch Aufgaben übernehmen,
die ansonsten weiter im Inneren des
Unternehmens liegen, wie zum Beispiel
das Controlling, Personalentscheidun-
gen oder Recruiting. Ziel ist, dass die
Teams all die Fähigkeiten in ihrem Team
haben, die sie brauchen, um markt- und
kundenorientiert zu arbeiten.
• Rechtlich relevante Positionen, wie
zum Beispiel Geschäftsführer, Proku-
risten, Handlungsbevollmächtigte, sind
– soweit es geht – auf administrative Tä-
tigkeiten reduziert. Die Entscheidungs-
gewalt liegt in den Teams.
Neu in diesen Organisationsformen
ist auch die Antwort auf die Frage nach
dem Karrierepfad. Da es keine Positi-
onsbeschreibungen und Linienorgani-
sationen mehr gibt, gibt es auch keine
Vorhersagen über eine Entwicklung ent-
lang der Karriereleiter. Was zählt, ist die
eigenständige Weiterentwicklung des
Mitarbeiters in fachlichen und interdis-
ziplinären Fähigkeiten.
Verantwortung selbst übernehmen
Interessierte, die bisher noch keine agi-
len Strukturen eingeführt haben, kann
ich meist an einem Punkt im Gespräch
überzeugen: Es ist der Moment, in dem
wir nicht mehr von Manager zu Ma-
nager sprechen, sondern von Mensch
zu Mensch. Dann hat noch jeder zuge-
stimmt, dass wir zum Thema „Organisa-
tionsstruktur“ einen Wandel brauchen.
Im Weg stehen wir uns meines Erachtens
nur selbst. Wie viele Mannschaftssport-
ler, die die Verantwortung für ihr Han-
deln auf dem Spielfeld gerne an Schieds-
richter abgeben, geben wir beim Betreten
eines Unternehmens die Verantwortung
für unser Handeln in die Hände der Füh-
rungskräfte. Das muss sich ändern.
mit den Zielen, schneller und besser als
der Wettbewerb auf veränderte Markt-
bedingungen reagieren zu können und
ein attraktiver Arbeitgeber zu werden.
Ein Ergebnis davon: Fortis wurde 2013
im Wettbewerb „Great Place to Work“
als eines der besten IT-Unternehmen in
Deutschland prämiert.
Praxisbeispiele aus der IT-Branche
Natürlich bin ich nicht der einzige, der
sich in der Praxis mit der agilen Orga-
nisation beschäftigt und diese im Un-
ternehmen einführt. Inzwischen gibt es
weitere Vorreiter – wenn es auch noch
nicht allzu viele sind und diese vor al-
lem aus der IT-Branche kommen. So
habe ich in den vergangenen Monaten
mit einigen Unternehmen gesprochen,
die sich mittlerweile seit einigen Jahren
mit dem Thema aktiv und praxisnah be-
schäftigen. Vier Unternehmen sollen als
Beispiele dienen (siehe Kasten auf Seite
49). Alle vier haben ihre Interpretation
eines agilen Organisationsmodells ge-
funden und in ihrem Unternehmen im-
plementiert. Im Einzelnen sind dies die
AOE GmbH, die Neuland Bremen GmbH,
die Oose GmbH sowie die Seibert Media
GmbH. Sie haben unterschiedliche An-
sätze, die sich aber in Punkten ähneln,
in denen es um die konkrete Implemen-
tierung der agilen Organisation geht.
Allen gemeinsam ist ein Menschen-
bild, das sich sehr stark an dem eines
autonomen Mitarbeiters orientiert. Alle
gehen davon aus, dass der Mitarbeiter
grundsätzlich bereit ist, sich zu enga-
gieren, dass er Entscheidungen treffen
will und kann, dass dazu Freiraum und
eine entsprechende Fehlerkultur gehö-
ren. Diese Annahmen sind aus eigenen
Erfahrungen gewonnen und werden von
jedem der genannten Unternehmen kon-
sequent umgesetzt.
Neben diesem konsequenten Sich-
Einlassen auf ein anderes Menschenbild
verzichten diese Beispielunternehmen
bewusst auf die klassischen Strukturen
einer Hierarchie oder Matrixorganisati-
on. Die Organigramme – wenn man sie
denn noch so nennen darf – gleichen eher
zellartigen oder organischen Strukturen,
die sich wie folgt beschreiben lassen.
• Alle Beschäftigten finden sich in
Teams wieder. Es gibt keine Einzelposi-
tionen, wie zum Beispiel einen Teamlei-
ter oder HR-Direktor oder Key Account
Manager. Wobei das immer nach innen
hin gilt, nach außen aber werden Aus-
nahmen gemacht, um in der Kommuni-
kation mit Kunden und Partnern eine
Übersetzungshilfe anbieten zu können.
• Diese Teams haben keinen Teamleiter
im klassischen Sinn, also jemanden, der
disziplinarisch oder fachlich dem Team
vorsteht und Verantwortung für deren
Ergebnisse hat. Hier trägt das Team
die Verantwortung. Dazu gibt es über-
nommene Rahmenwerke aus der agilen
Softwareentwicklung wie zum Beispiel
Scrum oder aber systemische Ansätze.
• Die Teams arbeiten für ihre Kunden
oder auf ihren Märkten. Das Außen gibt
den Teams die Orientierung und sorgt für
Führung. Das Innen des Unternehmens
stellt Dienste oder Prozesse zur Verfü-
gung, damit die Teams erfolgreich ar-
beiten können. Das klingt zum Teil nach
dem Shared-Service-Ansatz, der es auch
sein kann. Wichtig ist nur, dass nicht der
interne Service das Sagen hat, sondern
die Teams, die den Erfolg beim Kunden
und am Markt sicherstellen.
• Danach ausgerichtet, bestimmt sich
auch das Skillset der Teams. So kann
Die Betriebe setzen agile
Strukturen unterschied-
lich um. Gemeinsam ist
den meisten Beispielen
in der Praxis das Men-
schenbild von einem
autonomen Mitarbeiter.
Winald Kasch
ist Mit-
begründer der Go Agile AG.
Vorher war er Geschäftsführer
der Fortis IT-Services GmbH.