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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Balloneffekt:
­Leiharbeitnehmer
können die Betriebs-
größe verändern.
berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf
einem „in der Regel“ vorhandenen Per-
sonalbedarf beruht. Wann das der Fall
ist, ist offen. Die Entscheidung liegt
bislang nur als Pressemitteilung vor. Es
spricht einiges dafür, dass anhand einer
Prognose des Personalbedarfs für einen
gewissen Zeitraum zu ermitteln ist, wie
viele dauerhaft vorhandenen Arbeits-
plätze mit Leiharbeitnehmern besetzt
werden sollen. Einsätze bei saisonalen
und auftragsbedingten Schwankungen
darf man ausklammern. Besteht danach
ein regelmäßiger Personalbedarf, der
mit Leiharbeitnehmern aufgefangen
wird, zählen sie mit. Wird die Schwelle
von zehn Arbeitnehmern dadurch über-
schritten, bedarf jede Kündigung einer
sozialen Rechtfertigung, die der Arbeit-
geber darlegen und im Bestreitensfall
beweisen muss. Die Rechtsprechung
stellt hieran hohe Anforderungen, vor
allem bei betriebsbedingten Kündi-
gungen. Vor allem Arbeitgebern, die
bislang nicht unter den Geltungsbereich
des Kündigungsschutzgesetzes fielen,
wird es schwerfallen, diesen Anforde-
rungen gerecht zu werden, weil sie da-
mit keine Erfahrung haben.
Tendenz zur Ausweitung erkennbar
Die Entscheidung hat auch über das
Kündigungsschutzgesetz hinausgehende
Folgen: Die Schwellenwerte in anderen
Gesetzen werden von der Rechtspre-
chung in einigen Fällen entsprechend
der Regelung im Kündigungsschutzge-
setz bestimmt – etwa der Schwellen-
wert für den Anspruch auf Teilzeitarbeit
(§ 8 Abs. 7 TzBfG) und der Schwellenwert
für die Pflegezeit (§ 3 PflegeZG). Auch
hier werden die Gerichte wohl künftig
Leiharbeitnehmer mitzählen, wenn ihr
Einsatz auf einem in der Regel vorhan-
denen Personalbedarf beruht. In der
jüngeren Rechtsprechung ist eine klare
Tendenz erkennbar, Leiharbeitnehmer
bei arbeitsrechtlichen Schwellenwerten
zu berücksichtigen. So hatte das Ar-
beitsgericht Offenbach (Beschluss vom
22.8.2012, Az. 10 BV 6/11) kürzlich
Schwellenwerts des Kündigungsschutz-
gesetzes zu berücksichtigen, wenn ihr
Einsatz auf einem „in der Regel“ vor-
handenen Personalbedarf beruhe. Das
sei hier noch aufzuklären, sodass das
Gericht die Sache zur neuen Verhand-
lung und Entscheidung an das Landes-
arbeitsgericht zurückverwies.
Landesarbeitsgerichte überstimmt
Bislang gingen Rechtsprechung und die
ganz überwiegenden Literaturmeinun-
gen – mit Ausnahme der „arbeitneh-
mernahen“ Stimmen – davon aus, dass
Leiharbeitnehmer nur beim Zeitarbeits-
unternehmen für den Schwellenwert des
Kündigungsschutzgesetzes zählen, nicht
aber (auch) im Einsatzunternehmen.
Auch das LAG Berlin, das sicher nicht
im Verdacht steht, im Arbeitgeberlager
zu stehen, sah das 2001 so (LAG Berlin,
Urteil vom 30.1.2001, Az. 3 Sa 2125/00).
Die bisherige Rechtsprechung führte
an, der Gesetzgeber habe – in Kenntnis
dieserRechtsprechung–§23Abs.1Satz3
KSchG bewusst nicht angepasst. So sei
2001 eine Regelung zum Wahlrecht von
Leiharbeitnehmern im Einsatzbetrieb
in das Betriebsverfassungsgesetz aufge-
nommen worden. Der Gesetzgeber habe
aber offenbar keinen Anlass gesehen,
eine vergleichbare Regelung zur Stel-
lung der Leiharbeitnehmer in das Kün-
digungsschutzgesetz aufzunehmen.
Ganz überraschend kommt die Ent-
scheidung aber nicht: Schon zum
Schwellenwert zur Auslösung der Mitbe-
stimmungsrechte bei Betriebsänderungen
nach § 111 Betriebsverfassungsgesetz
hatte das Bundesarbeitsgericht Ende
2011 entschieden, dass Leiharbeitneh-
mer mitzählen, die länger als drei Monate
im Betrieb eingesetzt werden (Urteil vom
18.10.2011, Az. 1 AZR 336/10). Auch hier
argumentierte das Gericht mit Sinn und
Zweck der Vorschrift.
Regelmäßigen Bedarf ermitteln
Arbeitgeber, die bislang nicht in den
Geltungsbereich des Kündigungsschutz-
gesetzes fielen, müssen nun genau(er)
rechnen und auch Leiharbeitnehmer
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