Seite 39 - personalmagazin_2013_04

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Das ist eine weitere neue Herausforde-
rung für die Recruiter. Denn sie müssen
intelligent und einfühlsam vorgehen, um
einen potenziellen Kandidaten nicht zu
verschrecken. Hierfür müssen sie indivi-
duell passende Argumente finden, mit de-
nen sie ihn von der neuen Stelle und dem
neuen Arbeitgeber überzeugen können.
Verlagerte Zeitbudgets
All das kostet natürlich Zeit und kann
nicht einfach so nebenbei ausgeführt
werden. Recruiting-Experte Wolfgang
Brickwedde veranschlagt als Erfah-
rungswert für die aktive Kandidaten-
suche zwei Tage pro Woche – über die
gesamte Woche verteilt. Wo bekommt
ein Recruiter, der noch viele andere
Aufgaben abzudecken hat, diese Zeit
her? „Ganz einfach aus einem optimier-
ten Recruiting-Prozess“, erklärt er. Sein
Lösungsvorschlag: „Viele Unternehmen
benötigen viel zu viel Zeit für Einstel-
lungsinterviews, weil sie den Prozess
nicht qualitativ aufgestellt haben. Wer
nur wenige, aber dafür gut passende
Kandidaten zum Vorstellungsgespräch
einlädt, kann sehr viel Zeit einsparen
– und für eine weitere Optimierung der
Such- und Matching-Qualität nutzen.“
werden. Auch die Kandidatenqualität
kann gesteigert werden, wenn genau
definierte Suchkriterien vorliegen und
ausschließlich diejenigen Kandidaten
angesprochen werden, die diese Kriteri-
en erfüllen. Der wichtigste Grund ist je-
doch, dass Recruiter nur mit dieser Me-
thode (oder mit der Beauftragung eines
Headhunters) latent Stellensuchende
erreichen können. Das sind Kandidaten,
die einem Jobwechsel durchaus offen
gegenüberstehen, die sich aber selbst
nicht auf Stellensuche begeben. Laut
der aktuellen Studie Bewerbungspraxis
2013 will fast jeder zweite Arbeitnehmer
lieber von einem Arbeitgeber angespro-
chen werden als selbst aktiv zu werden.
Neue Rollen, neue Strategien
Entscheidet sich ein Unternehmen für
die aktive Kandidatensuche, ist ein ver-
ändertes Rollenverständnis der Recrui-
ter nötig. „Wichtig ist, dass der Recruiter
nicht mehr nur die Rolle eines Dienst-
leisters einnimmt, sondern vielmehr als
Berater des Fachvorgesetzten agiert“,
erklärt Wolfgang Brickwedde. Darüber
hinaus werden der sichere Umgang mit
dem Internet – insbesondere mit Netz-
werkplattformen und Foren sowie eine
„Verkäufer“-Denke erwartet. „Das heißt,
der Recruiter verkauft in enger werden-
den Märkten den Arbeitgeber und den
Arbeitsplatz gegenüber den Bewerbern
und die vorausgewählten Bewerber
gegenüber dem Fachvorgesetzten“, so
Brickwedde.
Auch die Vorgehensweise des Active
Sourcing unterscheidet sich grundle-
gend vom traditionellen Recruiting. Zu-
nächst einmal muss das Unternehmen
definieren, wen es überhaupt sucht, und
daraus ein Idealprofil ableiten. Dann gilt
es, entsprechende Schlüsselbegriffe zu
definieren, mit denen die Personen mög-
lichst treffend beschrieben werden – und
innerhalb von Netzwerken und Lebens-
laufdatenbanken aufgefunden werden
können. Aber Active Sourcing beinhaltet
nicht nur die Suche nach passenden Kan-
didaten, sondern auch deren Ansprache.
Worum genau geht es bei der aktiven Kandidatensuche? Was ist unter dem Begriff
„Active Sourcing“, wie diese Form der Mitarbeitersuche im Fachjargon genannt wird,
zu verstehen? Zwei Experten geben Auskunft.
„Active Sourcing steht für alle Maßnahmen der Identifizierung viel versprechender Mit-
arbeiter auf dem externen Arbeitsmarkt, bei denen das Unternehmen aktiv versucht, in
persönlichen Kontakt mit potenziellen Bewerbern und Mitarbeitern zu treten und eine
dauerhafte Beziehung zu den Bewerbern aufzubauen“, schreibt Wikipedia und zeichnet
Parallelen zu den Methoden der Personalberatung auf.
Wesentlich konkreter wird Dr. Martin Heibel, Geschäftsführer der Intraworlds GmbH,
in seinem Beitrag „Paradigmenwechsel in der Personalgewinnung“: „Active Sourcing
bedeutet, dass Unternehmen Talent Pools aufbauen und bedienen, um aus diesen
rekrutieren zu können.“ Er beschreibt die geänderte Rolle von Recruitern dahingehend,
dass sie nicht mehr nur Bewerbungen sichten und Assessments durchführen, sondern
dass sie schon viel früher aktiv werden, indem sie hauptverantwortlich Beziehungen zu
ausgesuchten Kandidaten pflegen. „Am Prozessende gleichen sie schließlich Kandidaten
in den Pools und deren Kompetenzen mit den Anforderungsprofilen offener Stellen ab.
Insgesamt lesen Active Sourcer so deutlich weniger Bewerbungen und führen weniger
Interviews, weil sie ihre Kandidaten schon kennen“, führt er weiter aus.
Wolfgang Brickwedde sieht bei seiner Definition von Active Sourcing auch eine zeitliche
Komponente: „Sourcing ist nicht für alle Unternehmen und für alle Arten von Vakanzen
sinnvoll. Neben der Dimension Verfügbarkeit gilt es, auch die Dimension Dringlichkeit
zu betrachten: Brauche ich als Unternehmen die neuen Mitarbeiter zeitnah oder auf-
grund zum Beispiel einer geplanten Geschäftsfelderweiterung vielleicht erst in zwei bis
drei Jahren?“, schreibt er in seinem Buchbeitrag „Aktives Sourcing – Personalmarketing
2.0 Reloaded“. Im ersten Fall könne Active Sourcing Verwendung finden, um zielgenau
interessante Kandidaten, die zeitnah starten können, anzusprechen. Im zweiten Fall
könne Active Sourcing genutzt werden, um Talentpools aufzubauen, damit in zwei bis
drei Jahren Personal in der gewünschten Quantität und Qualität vorhanden sei.
(dfu)
Active Sourcing
Praxisbeispiel
Begriffsklärung