Seite 82 - personalmagazin_2012_03

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„Entschädigung bleibtmöglich“
INTERVIEW. Droht eine Auskunftspflicht in Bewerbungsverfahren? Trotz guter
Zwischennachricht aus Luxemburg, rät ein Arbeitsrechtsexperte zur Vorsicht.
personalmagazin:
Um eine angebliche
Diskriminierung belegen zu kön-
nen, reklamiert eine Bewerberin ein
Auskunftsrecht über alle Mitbewerber.
Das BAG hat diese Frage dem EuGH
vorgelegt und der Generalanwalt hat
seine Meinung geäußert. Wie ist die
Lage jetzt einzuschätzen?
Hans-Peter Löw:
Nach Ansicht von
Generalanwalt Paolo Mengozzi verlan-
gen die einschlägigen EU-Richtlinien
nicht, dass einem Stellenbewerber im
Fall seiner Nichtberücksichtigung ein
Anspruch gegen den Arbeitgeber auf
Auskunft eingeräumt wird, ob und
aufgrund welcher Kriterien er einen
anderen Bewerber eingestellt hat.
personalmagazin:
Dann können Unterneh-
men jetzt aufatmen?
Löw:
Leider nicht, denn der Generalan-
walt führt aus, dass im Einzelfall die
Ablehnung einer Auskunft doch Konse-
quenzen haben könne. Das Ausbleiben
einer Reaktion des Arbeitgebers auf ein
Auskunftsbegehren eines Bewerbers
müsse differenziert beurteilt werden, je
nachdem, ob der Bewerber dem Anfor-
derungsprofil der Stelle offensichtlich
nicht entspreche, zu einem Vorstel-
lungsgespräch eingeladen worden sei
oder sich unaufgefordert um die Stelle
beworben habe, so der Generalanwalt
weiter.
personalmagazin:
Sie bewerten also die
Schlussanträge weniger optimistisch
als manche Kollegen?
Löw:
So ist es, denn im Ergebnis sollen
die Unternehmen zwar einerseits
nicht zur Auskunft über Mitbewer-
ber verpflichtet sein. Wenn sie aber
diese Auskunft nicht geben, kann dies
andererseits dennoch dazu führen, dass
sie entschädigungspflichtig werden.
Es kann hier zu einer Umkehr der Be-
weislast kommen und der Arbeitgeber
kann eine Entschädigung nur dadurch
abwehren, dass er seine Entscheidungs-
kriterien offenlegt und nachweist, dass
eine Benachteiligung nicht vorliegt. Der
Generalanwalt drückt sich durch diese
Methode vor der Auseinandersetzung
mit den Persönlichkeitsrechten des
ausgewählten Kandidaten.
Und schließlich: Der Generalanwalt
gab die Antwort auf eine Frage, die das
vorlegende Gericht gar nicht gestellt hat.
Das BAG wollte nämlich nur für den Fall,
dass ein Auskunftsrecht bejaht wird,
wissen, welche Schlussfolgerungen aus
der Auskunftsverweigerung zu ziehen
seien. Da der Generalanwalt aber einen
Auskunftsanspruch ablehnt, hat sich die
Frage nach den Konsequenzen einer Ab-
lehnung eigentlich nicht mehr gestellt.
Noch nicht geklärt ist daher die Frage,
welche Verbindlichkeit einer Antwort
zukommt, deren zugehörige Frage im
verfahrensrechtlichen Sinne gar nicht
gestellt wurde.
personalmagazin:
Was sollten Unterneh-
men jetzt tun, um im Bewerbungsver-
fahren Risiken zu minimieren?
Löw:
Im Hinblick auf die Gefahr einer
im AGG-Prozess drohenden Beweis-
lastumkehr empfiehlt es sich zunächst,
die Stellenprofile mit den genauen
Qualifikationsanforderungen an die
ausgeschriebene Stelle intern exakt
und beweistüchtig zu formulieren. Die
im anschließenden Bewerbungsver-
fahren geschalteten offiziellen Stel-
lenausschreibungen sollten dem dann
natürlich entsprechen. Vor allem aber
ist zu beachten: Inhalt und Ablauf des
offiziellen Bewerbungsverfahrens sind
genauestens zu dokumentieren.
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BEWERBUNG
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
personalmagazin 03 / 12
Das Interview führte
Thomas Muschiol
Online
Den Wortlaut des Schlussantrags
des Generalanwalts in der Rechts-
sache C-415/10 können Sie abrufen
unter
ist Rechtsanwalt und Partner
bei der Kanzlei Allen & Overy
am Standort Frankfurt am Main.
Dr. Hans-Peter Löw
Das Interview führte
Thomas Muschiol.