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personalmagazin 03 / 12
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
BURNOUT
samte Geschäftsleitung unter Führung
des „Chairman“ gemeinsam mit dem
Betriebsrat und weiteren Führungskräf-
ten das Konzept mit externer Begleitung
ausgearbeitet hatten.
DerWorkshopsolltealleFührungskräf-
te in einem hierarchieübergreifenden
Vorgang für die Rolle in Veränderungs-
prozessen qualifizieren und dabei die
psychische Gesundheit berücksichtigen.
Der Umgangmit psychischer Gesundheit
wurde bewusst mit leistungsbezogenen
Themen verbunden. „Führungskräfte
haben einen wesentlichen Einfluss bei
der Früherkennung von gesundheit-
lichen Problemen, die sie nicht immer
wahrnehmen. Gesundheit ist in der Tat
etwas Privates, trotzdem dürfen Gesund-
heit und Krankheit von Führungskräf-
ten angesprochen werden“, sagt Dr. Olaf
Tscharnezki, leitender Betriebsarzt und
zuständig für das betriebliche Gesund-
heitsmanagement bei Unilever.
Neutrale Anlaufstelle für Mitarbeiter
Neben einer vertrauensvollen Beziehung
zu Vorgesetzten ist für Mitarbeiter eine
unabhängige Beratungsstelle wichtig, an
die sie sich wenden können. Oft hilft es
schon, wenn Mitarbeiter über ihre Angst
oder Belastung sprechen können, um
den psychischen Druck zu reduzieren.
Dabei müssen steigende Nutzerzahlen
kein schlechtes Zeichen sein. Es kann
auch bedeuten, dass ein Tabu durchbro-
chen wird und Mitarbeiter sich häufiger
trauen, über Belastung und Ängste zu
sprechen. Wird eine Anlaufstelle einge-
richtet, ist aber die Kommunikation und
die Vertraulichkeit entscheidend.
Bei der Swiss International Airline
heißt eine solche Beratungsstelle bei-
spielsweise „Psychological Advise of
Flight Safety“. Sie steht dem Cockpit-
Personal genauso wie dem Management
zur Verfügung und wird intensiv – es
gibt etwa 120 persönliche Gespräche pro
Monat – genutzt. Manche nutzen die Un-
terstützung nur einmalig, wenn sie Rat
brauchen oder sich psychisch belastet
fühlen, während andere ihn mehrfach
in Anspruch nehmen. „Diese Beratungs-
stelle hilft uns, Piloten und Management
arbeitsfähig zu halten. Die Erfahrungen
sind sehr gut und für die Flugsicherheit
ist der ‚Psychological Advise for Flight
Saftey‘ sehr wichtig. In der Branche
rechnet man, dass diese Stelle das vier-
bis fünfzehnfache der Kosten dafür ein-
bringt, da sie dazu beiträgt, die Absenzen
stark zu reduzieren“, sagt Kapitän Tom
Bolli, Leiter der Flugsicherheit.
Entscheidend für den Erfolg ist, dass
die Beratung anonym und vertraulich er-
folgt. Das Büro ist bewusst an einem an-
deren Ort angesiedelt, sodass niemand
sieht, wer die Beratung in Anspruch
nimmt. Nur in anonymisierter Formwird
dem Management und dem Leiter der
Flugsicherheit eine Rückmeldung über
Problemmuster und mögliche Ursachen
gegeben. Neben der Hilfe für die Einzel-
person können durch diese generellen
Beobachtungen auch Interventionen
abgeleitet werden bei übergeordneten
Themen wie allgemeinen Arbeitsbedin-
gungen. Entsprechend ergänzt Bolli:
„Der Nutzen liegt zu 80 Prozent im ‚Case
Management‘ und 20 Prozent in der Prä-
vention, die wir durch das Zurückspie-
len der Themen und die entsprechenden
Maßnahmen machen können.“
Einige Unternehmen haben anstatt
einer internen Anlaufstelle ein soge-
nanntes externes „Employee Assistance
Program“ (EAP) aufgesetzt, bei dem sich
Mitarbeiter jederzeit telefonisch Rat ho-
len können. Bei SAP gibt es zusätzlich
eine Mitarbeiterambulanz mit medizi-
nischer, sozialer und psychologischer
Betreuung. Neben der klassischen me-
dizinischen Versorgung werden Mitar-
beiter mit allen denkbaren Themen und
PRAXISBEISPIEL
Analyse der aktuellen Situation durch Mitarbeiterbefragung
Unilever stellte 2008 seinen Mitarbeitern folgende Fragen zur psychischen Gesundheit:
Was genau sind die gesundheitlichen Probleme unserer Mitarbeiter? Was kostet die Krank-
heit, wie hoch sind die Produktivitätsverluste? Haben wir die richtigen Angebote, was soll
ergänzt werden? Was muss geschehen, damit die Situation sich wieder verbessert?
Die Ergebnisse: 80 Prozent der Mitarbeiter empfanden arbeitsbedingten Stress, 60 Prozent
gaben Schlafstörungen an und 40 Prozent klagten über Depressionen. Bei den Krankheits-
kosten wurde zwischen Absentismus (Mitarbeiter bleiben wegen Krankheit zu Hause) und
Präsentismus (Mitarbeiter gehen trotz Krankheit zur Arbeit) unterschieden. 27 Prozent der
Kosten durch Krankheit wurden durch Absentismus verursacht. Der Produktivitätsverlust bei
Präsentismus erklärten nach subjektiver Einschätzung der Mitarbeiter 73 Prozent der Kosten.
Zudem ergab die Analyse: 50 Prozent der Kosten für Absentismus und Präsentismus waren
allein auf die Themen Stress, Schlafstörungen und Depression zurückzuführen.
Nicht krankheitsbedingte Fehlzeiten waren also das Problem, sondern dass viele Mitarbeiter
trotz Krankheit und Überlastung zur
Arbeit gingen, in ihrer Produktivität
jedoch eingeschränkt waren. Als
Konsequenz aus der Befragung und
der Gefährdungs- und Belastungs-
analyse leitete Unilever umfassende
Maßnahmen ein, mit Schulungen,
Gesundheitstagen und Mitarbeiter-
beratungsangeboten.
Krankheitsfehlzeiten verraten nicht alles.