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ANONYME BEWERBUNG
personalmagazin 06 / 12
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Gleiche Chancen in Runde eins
PRAXIS. Acht Unternehmen haben ein Jahr lang anonyme Bewerbungsverfahren
getestet. Sie ziehen ein positives Fazit. Aber nicht alle werden es weiter nutzen.
Anonymität war das oberste Gebot im Pilotprojekt. Fotos der Bewerber waren verboten.
dien- und Ausbildungsplätze wurden
anonymisiert vergeben.
Zwar lassen diese Fallzahlen keine
repräsentativen Ergebnisse zu, doch die
Evaluierung des Bonner Forschungsins-
tituts zur Zukunft der Arbeit und der
Kooperationsstelle Wissenschaft und
Arbeitswelt an der Europa-Universität
Viadrina zeigt eindeutige Tendenzen
auf, die die Wissenschaftler überrascht
haben – hatten sie doch angesichts der
breiten Diversity-Ausrichtung vieler
teilnehmender Organisationen kaum
mit messbaren Ergebnissen gerechnet:
Im Vergleich zu herkömmlichen Bewer-
bungsverfahren zeigten sich Effekte bei
zwei konkretenGruppen. Erstens: Frauen
hatten im Vergleich zu herkömmlichen
Verfahren tendenziell bessere Chancen,
zu einem Vorstellungsgespräch eingela-
den zu werden. Das zeigte sich vor allem
dann, wenn sie schon ein paar Jahre Be-
rufserfahrung hatten. Junge Frauen, die
wegen eines möglichen Kinderwunschs
üblicherweise schlechtere Chancen ha-
ben, könnten also profitieren. Zweitens:
Auch Bewerbende mit Migrationshinter-
grund hatten bessere Chancen durch das
neue Verfahren.
Chancengleichheit in der ersten Runde
Wir ziehen daraus das entscheidende
Fazit: Anonymisierung stellt Chancen-
gleichheit her und garantiert eine faire
erste Bewerbungsrunde. Also empfehlen
wir anonymisierte Bewerbungen als pra-
xisgeprüfte und zeitgemäße Diversity-
Maßnahme mit gutem Gewissen.
Die Praxis zeigt leider, dass beim
Zugang zum Arbeitsmarkt nicht im-
mer Chancengleichheit herrscht, trotz
Fachkräftemangel und Nachwuchsbe-
darf. Immer noch spielen Vorurteile wie
„alleinerziehende Frauen sind unflexi-
bel“, „Menschen über 50 werden häufig
krank“ oder „türkische Bewerbende kön-
nen nicht so gut Deutsch“ bei der ersten
Sichtung von Bewerbungen eine große
Rolle. Dabei darf Arbeitgebern kein ab-
sichtlich diskriminierendes Verhalten
unterstellt werden. Aber Studien bele-
gen, dass selbst geschulte Personaler
nicht immer objektiv sind.
Vorteile für Arbeitgeber
Die Anonymisierung rückt die Qualifi-
kation der Bewerbenden in den Mittel-
punkt und garantiert so eine objektive,
Von
Christine Lüders
A
nonymisierung wirkt - so lau-
tet das zentrale Fazit unseres
nun abgeschlossenen Pilot-
projekts „Anonymisierte Be-
werbungsverfahren“. Zwölf Monate lang
hatten acht Privatunternehmen und Ar-
beitgeber aus dem öffentlichen Dienst
verschiedene Methoden anonymisierter
Bewerbungsverfahren getestet und sich
dabei über die Schulter blicken lassen.
Insgesamt wurden im Rahmen des
Pilotprojekts 8.550 Bewerbungen anony-
misiert eingesehen. Mehr als 1.290 Men-
schen wurden zu einem Eignungstest
oder einem Vorstellungsgespräch ein-
geladen. Und 246 Stellen sowie Stu-