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titel
_menschen mit behinderung
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
pertenwissen des Disability-Managers
sowie dem Linienverantwortlichen, dem
Vorgesetzten und dem Mitarbeiter mit
Behinderung dessen starres Stellen- und
Anforderungsprofil in anpassungsfähige
Aufgabenbündel aufzubrechen. Nach
dem Prinzip „Structure Follows Perso-
nality“ können Mitarbeiter mit Behinde-
rung je nach Befähigung und Kompetenz
an ihrem Leistungsoptimum wirken und
sich entwickeln. Eine Behinderung ist ei-
ne Einschränkung, längst aber nicht im-
mer über die gesamte Leistungsspanne.
Und wenn doch, dann lässt sich die damit
verbundene Entschleunigung zur Quali-
tätssicherung oder -steigerung nutzen.
„Starre Profile aufbrechen“
INTERVIEW.
Wie Betriebe nicht Quoten erfüllen, sondern das Potenzial von Menschen mit
Behinderung nutzen, erklären Regula Dietsche und Nils Jent von der Uni St. Gallen.
personalmagazin:
Wo treten häufig Schwie-
rigkeiten auf, wenn Arbeitgeber Men-
schen mit Behinderung beschäftigen?
Regula Dietsche:
Oft wird in Unternehmen
unter dem Label „Handicapfriendly
Workplace“ an rollstuhlgängige Toi-
letten, sprechende Aufzüge und PCs,
personalisierten IT-Support, adäquate
Ausleuchtung, Farbgebung und Akus­
tik sowie weitere Erleichterungen ge-
dacht. Gewiss löbliche Maßnahmen,
doch neben diesen infrastrukturellen
Erfordernissen handelt es sich bei der
nutzenstiftenden Beschäftigung von
Menschen mit Behinderung vor allem
um eine Inklusionsfrage in bestehende
Sozialsysteme. Notwendig sind dazu
Dekonstruktionsinitiativen, um Wider-
stände, Vorurteile sowie Stereotype ab-
zubauen oder aufzuweichen.
personalmagazin:
Das bedeutet konkret?
Nils Jent:
Nehmen Sie beispielsweise
mich: Ich bin seit meinem 19. Lebens-
jahr unfallbedingt stark sprech- sowie
motorisch behindert, blind und im Roll-
stuhl. Die Dekonstruktion des Begriffs
„Behinderung“ bedeutet, dass die Res-
sourcen gerade in meiner Andersartig-
keit gesehen werden. Oder allgemein:
Die Dekonstruktion vermeidet, dass
Behinderte dort eingesetzt werden, wo
Nichtbehinderte besser sind. Sie ist beid-
seitig anzusetzen, bei Mitarbeitern ohne,
aber auch bei jenen mit Behinderung.
Sonst bleiben diffuse, unerklärbare
Reibungsflächen. Werden Arbeitskräf-
te mit Behinderung angestellt, so ist es
notwendig, gesamtbetrieblich die stere-
otypen Bilder, die Werthaltungen und
Widerstände zu prüfen sowie zu dekon-
struieren. Im Gegensatz dazu zeigen
Anpassungsleis­tungen wie überhöhte
Konzentration oder Schmerzunterdrü-
ckung Nebenwirkungen bei Arbeitneh-
mer und Arbeitgeber. Die Kompensation
der Behinderung auf Dauer ist also der
falsche Ansatz.
personalmagazin:
Wie werden Mitarbeiter
mit Behinderung besser eingebunden?
Jent:
Der Wille zur innerbetrieblichen
Inklusion von Mitarbeitern mit Behin-
derung ist auf oberster Führungsstufe
authentisch vorzuleben und zu bekräfti-
gen. Warum also nicht ein qualifiziertes
„Board Member“ mit Behinderung wäh-
len, das außer den Kenntnissen in einem
Standardbereich auch um das komplexe
Zusammenspiel der Wirkungsfelder der
„Disability“ weiß?
Dietsche:
Zudem ist unsere Arbeitsein-
stellung meist auf Beschleunigung und
Effizienz ausgerichtet: „So schnell wie
möglich, sogutwienötig“. Liegt der Fokus
jedoch auf dem quantitativen Wachstum
sind verlangsamende Einschränkungen
chancenlos. Wenn aber Effektivität und
Effizienz gleich wichtig wären, also: „So
gut wie möglich, so schnell wie nötig“,
würde sich der Fokus auf das qualitative
Wachstum verschieben. Für die Zusam-
menarbeit von Menschen mit und ohne
Behinderung ist also die Verbindung bei-
der Werthaltungen entscheidend.
personalmagazin:
Welche Rolle spielt dabei
die Personalabteilung?
Jent:
Aufgabe der Personalverantwort-
lichen ist es, gemeinsam mit dem Ex-
Dr. Nils Jent
ist Co-Leiter des Diversity-
Centers am Institut für Führung und Per-
sonalmanagement und der Angewandten
Forschung am „Center for Disability and
Integration“, beides an der Uni St. Gallen.