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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
dass Lust auf die Arbeit spürbar ist, die
Mitarbeiter sympathisch wirken und der
Dienstleistungsgedanke erkennbar ist.
„Nichtbehinderte Menschen brauchen
genauso viel Betreuung wie behinderte“,
sagt sie. „Meine Aufgabe ist die Leitung
des Hotels, und da sind wir alle gemein-
sam sehr dienstleistungsorientiert.“
Ihre professionelle Logik folgt der lang-
jährigen Erfahrung, die die 48-Jährige
als Hotelfachfrau im Münsterland und
später als Direktorin von Häusern auf
Norderney, in Oberbayern und zuletzt in
Frankfurt am Main sammelte. „Der Gast
möchte Leistung für sein Geld bekom-
men.“ Dienstpläne und klare Arbeits-
strukturen sind mit entscheidend für das
Funktionieren eines Drei-Sterne-Hauses
mit solch diverser Mitarbeiterschaft.
Schon als das Hotel noch eine Baustel-
le war, haben die Helfer mit Behinderung
Zimmer eingerichtet und sauber ge-
macht. Die Identifikation mit dem Haus
und die Gewöhnung an den Arbeitsplatz
haben also frühzeitig begonnen. Dabei
kann die Hoteldirektorin ihrer Professi-
on treu bleiben: „In unserem ganz nor-
malen Hotelbetrieb stehen mir für die
spezielle Betreuung der Menschen mit
Behinderungen im Franz Sales Haus So-
zialarbeiter und Pädagogen zur Seite.“
Audi: Individuelle Lösungen suchen
Solch eine Arbeitsteilung unter Profis hat
die Audi AG in Ingolstadt für Mitarbei-
ter in der Fertigung institutionalisiert,
deren Leistungsfähigkeit gemindert ist,
sei es durch körperliche oder psychische
Ursachen. Das Koordinationsteam aus
Personal- und Gesundheitsfachleuten,
Technikern und Führungskräften so-
wie dem Schwerbehindertenvertreter
analysiert im ersten Schritt die arbeits-
platzbezogene Leistungsfähigkeit des
Mitarbeiters. Um die Differenz zur
definierten Standardleistung zu über-
winden, werden individuelle Lösungen
gesucht. So kann in einer Fertigungs-
straße die körperliche Belastung gesenkt
und aus einem Steh- ein Sitzarbeitsplatz
werden, oder ein taubstummer Mitar-
beiter wird situativ von einem Gebär-
dendolmetscher unterstützt.
Seit 2010 wurde jährlich die Arbeits-
und Leistungsfähigkeit von rund 500
Menschen im Expertenteam besprochen
– und vor allem wurde mit den schwer-
behinderten oder leistungsgewandelten
Mitarbeitern geredet. Sie wurden einbe-
zogen in die Veränderungen an ihrem
Arbeitsplatz, deren Ziel in erster Linie
ein Verbleib an der Fertigungslinie und
in ihrem gewohnten Kollegenkreis ist.
„Eine funktionierende Gruppenarbeit ist
eine wichtige Voraussetzung für diesen
personalintensiven Prozess“, sagt An-
dreas Zelzer, Integrationsbeauftragter
im Werk Ingolstadt. „Dazu gehört, dass
jede Führungskraft die Integrationsar-
beit als Teil ihrer Aufgabe betrachtet und
sie nicht nur den Experten überlässt.“
Der Autohersteller erhielt 2011 für sei-
ne systematische Arbeit den „Com To Act
Award“ des „Centers for Disability and
Integration“ der Universität St. Gallen
und übertrug das Modell von ­Ingolstadt
auf den Standort Neckarsulm. Mit sechs
Prozent Schwerbehinderten plus Auf-
träge an Einrichtungen der Lebenshilfe
erfüllt Audi die gesetzliche Quote zur
Beschäftigung von Menschen mit Be-
hinderung mehr als gefordert. Davon
profitieren auch Azubis mit Handicap –
unter sechs Startern in diesem Jahr ein
Rollstuhlfahrer und ein Epileptiker. Die
Chancen stehen gut, dass sie nach be-
standener Abschlussprüfung übernom-
men werden.
Kaufhof: Bereicherung für das Team
Berufsabschlüsse sind es, die den Start
in den ersten Arbeitsmarkt ebnen. Des-
halb setzt Kaufhof Galeria am Sitz sei-
ner Zentrale in Köln auf frühzeitigen
Kontakt zu jungen Menschen mit Behin-
derung. Die Lernpartnerschaft mit der
Anna-Freud-Schule in Köln, in der Kin-
der und Jugendliche mit körperlichen
Behinderungen sowie psychischen und
psychosomatischen Erkrankungen ge-
fördert werden, führt direkt in Praktika
– im vergangenen Jahr konnten sich vier
junge Behinderte die Berufe Verkäufer
und Kaufmann im Einzelhandel genauer
anschauen. Weitere 22 sozial benachtei-
ligte oder behinderte Jugendliche kamen
2011 über die betriebliche Einstiegsqua-
lifizierung (EQ) in das Warenhaus.
Mit der Unterschrift unter einen
Ausbildungsvertrag rücken selbststän-
diges Leben und Arbeiten ein ganzes
Stück näher. Kaufhof beteiligt sich am
Programm „Verzahnte Ausbildung mit
Berufsbildungswerken“ (VAMB). Jun-
ge Menschen mit Handicap werden in
Bildungswerkstätten beim Lernen un-
terstützt und machen ihre betriebsprak-
tische Ausbildung in einer Filiale. Neben
den kaufmännischen Berufen werden
Lagerlogistiker ausgebildet. Insgesamt
24 Azubis, darunter elf VAMB-Teilneh-
mer, wurden mit ihren oder trotz ihrer
Einschränkungen eingestellt.
Von drei erfolgreichen Prüflingen mit
Handicap wurden im vergangenen Jahr
zwei übernommen. „Wir wollen Men-
schen mit Behinderung Mut machen“,
sagt Uta Geppert, die für Galeria Kaufhof
die Personalstrategie koordiniert. „Denn
unsere Erfahrungen zeigen, dass die
Kolleginnen und Kollegen nicht nur ihre
Arbeit hervorragend erledigen, sondern
eine Bereicherung für das Team sind.“
Dazu tragen auch technische Hilfsmittel
bei. So erhielt eine querschnittsgelähm-
te Auszubildende einen höhenverstell-
baren Rollstuhl, mit dem sie an alle
Regale kommt – und sie wurde wegen
ihrer guten Leistungen übernommen.
„Jede Führungskraft muss die Integrations-
arbeit als Teil ihrer Aufgabe betrachten und
sie nicht nur den Experten überlassen.“
Andreas Zelzer ist Integrationsbeauftragter bei Audi im Werk Ingolstadt.
Ruth Lemmer
ist freie Journalistin und
Fachautorin in Düsseldorf.