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personalmagazin 07 / 12
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RECHT
_ENTGELTFORTZAHLUNG
personalmagazin:
Welche Rolle spielt es
bei der Entgeltfortzahlung, ob sich ein
Arbeitnehmer bei einem Verkehrsunfall
regelgerecht verhalten hat?
Peter Rambach:
Hat der Arbeitnehmer
vorsätzlich oder grob fahrlässig Ver-
kehrsvorschriften verletzt und so seine
Gesundheit leichtfertig aufs Spiel ge-
setzt, entfällt die Pflicht zur Entgeltfort-
zahlung. War beispielsweise beim Unfall
Alkohol im Spiel oder der Mitarbeiter
nicht angeschnallt, liegt meist ein Ver-
schulden des Arbeitnehmers vor.
personalmagazin:
In einen Verkehrsunfall
sind aber oft mehrere Beteiligte verwi-
ckelt. Welche Konsequenzen hat dies bei
der Pflicht zur Entgeltfortzahlung?
Rambach:
Hier ist zunächst zu beachten:
Der Arbeitnehmer ist gesetzlich ver-
pflichtet, gegenüber dem Arbeitgeber
Angaben über den Unfallhergang zu
machen, soweit ein Dritter am Unfall
beteiligt war. Dazu gehören Namen und
Anschriften des Schädigers und von
Zeugen sowie Angaben über eventuelle
polizeiliche Ermittlungsergebnisse. Der
Grund: Ist der Unfall durch einen Dritten
verursacht worden, gehen die Schadens-
ersatzansprüche des Arbeitnehmers auf
den Arbeitgeber über. Dieser kann sich
also die Entgeltfortzahlungskosten vom
Dritten zurückholen.
personalmagazin:
Sowohl beim Vorwurf
des Eigenverschuldens als auch beim An-
spruchsübergang stellt sich die Frage, was
ist, wenn der Arbeitnehmer keine oder kei-
ne verlässlichen Angaben macht?
Rambach:
Zur Informationsbeschaffung
kommt in beiden Fällen die Aktenein-
sicht in die polizeiliche oder staatsan-
waltschaftliche Unfallakte in Betracht.
Bei einem Streit um die Entgeltfortzah-
lung gibt es hierfür regelmäßig ein so-
genanntes berechtigtes Interesse des
Arbeitgebers. Zu beachten ist aber: Er-
mittlungsakten dürfen nicht dem Ar-
Bei Verkehrsunfällen genau hinschauen
INTERVIEW
Neben Freizeitunfällen sind Unfälle im Straßenverkehr eine häufige Ursache für eine
Arbeitsunfähigkeit. Hier ist der Arbeitgeber gefordert, sich detailliert zu informieren.
Das Interview führte
Thomas Muschiol
.
beitgeber, sondern nur einem Anwalt
ausgehändigt werden.
Personalmagazin:
Was ist, wenn auch bei
eindeutiger Aktenlage der Arbeitnehmer
alles in Abrede stellt und auf ein bevorste-
hendes Gerichtsverfahren verweist?
Rambach:
Hier besteht die legitime tak-
tische Möglichkeit, die Entgeltzahlung
unter Hinweis auf ein Verschulden des
Arbeitnehmers einzustellen. Klagt der
Arbeitnehmer, kann im Prozess vor
dem Arbeitsgericht die Beiziehung der
Unfallakte zu Beweiszwecken beantragt
werden. Aber auch hier gilt: Nicht der
Arbeitnehmer muss beweisen, dass ihn
an der Arbeitsunfähigkeit kein Verschul-
den trifft, vielmehr trägt der Arbeitgeber
die Darlegungs- und Beweislast für ein
die Entgeltfortzahlung ausschließendes
Verschulden des Arbeitnehmers.
DR. PETER
H. M. RAMBACH
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für
Arbeitsrecht bei der
Kanzlei Fettweis und
Sozien, Freiburg
JAN GIESELER
, Rechtsanwalt
und Fachanwalt für Arbeits-
recht, Reinhart Kober Groß-
kinsky, Tauberbischofsheim
nalverantwortliche sorgfältig prüfen,
ob eine Arbeitsunfähigkeit auf einem
selbst verschuldeten Sportunfall des
Arbeitnehmers beruht. Hierfür sind ins-
besondere die näheren Umstände des
Unfalls und die hinsichtlich der Person
des Mitarbeiters unter Berücksichtigung
der ausgeübten Sportart relevanten Ein-
zelheiten präzise aufzuklären und zu
dokumentieren. Im Streitfall muss der
Arbeitgeber die Tatsachen beweisen, die
die Feststellung eines Eigenverschul-
dens ermöglichen. Der Arbeitnehmer
ist aber verpflichtet, auf ein Selbstver-
schulden als Ursache der Erkrankung
oder Verletzung hinzuweisen, wenn das
Verschulden für ihn erkennbar den An-
spruch auf Entgeltfortzahlung entfallen
lässt. Darüber hinaus kann auch eine
Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers
an der Aufklärung entstehen, bis hin zu
einer Umkehrung der Beweislast, wenn
der erste Anschein für ein grobes Ver-
schulden spricht.
Fazit: Den Einzelfall betrachten
Tatbestände, die aufgrund von Selbst-
verschulden zum Wegfall des Entgelt-
fortzahlungsanspruchs führen können,
werden in der Praxis vielfach nicht oder
nur oberflächlich ermittelt. Drohen ho-
he Entgeltfortzahlungen aufgrund eines
Sportunfalls des Mitarbeiters, sollten
Arbeitgeber die konkreten Umstände des
Unfalls im Hinblick auf ein Verschulden
des Arbeitnehmers genau ermitteln.
Allgemeine Verbote oder Beschrän-
kungen, bestimmte Sportarten nicht
oder nur in einer bestimmten Art und
Weise auszuüben, werden dagegen nur
ausnahmsweisewirksamvereinbart wer-
den können, etwa für besondere Berufs-
gruppen, zum Beispiel Berufssportler
oder für einen an besonders exponierter
Stelle eingesetzten Mitarbeiter.