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personalmagazin 07 / 12
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RECHT
_ENTGELTFORTZAHLUNG
ren kann, sich also unbeherrschbaren
Gefahren aussetzt (BAG, Urteil vom
7.10.1981, Az. 5 AZR 338/79). Die Einstu-
fung als besonders gefährliche Sportart,
bei der ein Verschulden unterstellt wird,
wurde bislang nur von einem Arbeits-
gericht für das Kickboxen bejaht (ArbG
Hagen, Urteil vom 15.9.1989, Az. 4 Ca
648/87). Verneint wurde sie dagegen bei
Fußball (BAG, Urteil vom 1.12.1976, Az. 5
AZR601/75), Skifahren (LAGBremen, Ur-
teil vom 20.8.1963, Az. 2 Sa 53/63), Dra-
chenfliegen (BAG, Urteil vom 7.10.1981,
Az. 5 AZR 338/79), Inline-Skating (LAG
Saarland, Urteil vom 2.7.2003, Az. 2 Sa
147/02) und auch Amateurboxen (BAG,
Urteil vom 1.12.1976, Az. 5 AZR 601/75).
Zweiter Prüfstein:
Anerkannte Regeln nicht beachtet
Unabhängig von der Sportart, kann ein
Verschulden auch dann vorliegen, wenn
der Arbeitnehmer in grober Weise und
leichtsinnig gegen anerkannte Regeln
der jeweiligen Sportart verstößt.
Dritter Prüfstein:
Erkennbare Überforderung
Wer sich sportlich betätigt und dabei
seine Kräfte und Fähigkeiten schuldhaft
personalmagazin:
Was ist eigentlich konkret
unter einer Fortsetzungserkrankung zu
verstehen?
Julia Zange:
Eine Fortsetzungserkran-
kung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer
aufgrund desselben Grundleidens
wiederholt arbeitsunfähig erkrankt.
Es geht also um dieselbe Krankheit.
Nur wenn die Erkrankung auf dieselbe
Ursache zurückgeht, handelt es sich um
dieselbe Krankheit. So sind etwa zwei
aufeinanderfolgende Knochenbrüche
sicherlich die gleiche, aber in der Regel
nicht dieselbe Krankheit.
personalmagazin:
Was ist, wenn die Mei-
nungen auseinandergehen, ob es sich um
dieselbe Krankheit handelt?
Zange:
Grundsätzlich muss der Arbeit-
geber das Bestehen der Fortsetzungs-
erkrankung beweisen und nicht der
Arbeitnehmer das Bestehen einer an-
deren Krankheit, da es sich um eine
Ausnahme von der gesetzlichen Ent-
geltfortzahlungspflicht handelt. Dieser
Beweis ist jedoch oft schwer zu führen,
denn Arbeitsunfähigleitsbescheini-
gungen enthalten keine Angaben zur
Krankheitsursache.
personalmagazin:
Welche Möglichkeiten hat
der Arbeitgeber dann stattdessen?
Zange:
Der Arbeitgeber kann zunächst
durch Rückfrage bei der Krankenkasse
klären, ob eine Fortsetzungskrankheit
besteht. Die gesetzlichen Kranken-
kassen sind verpflichtet, dem Arbeit-
geber auf Anfrage mitzuteilen, ob die
erneute oder weitere Arbeitsunfähig-
keit auf derselben Krankheit beruht.
Bedenken Sie jedoch, dass die Kranken-
kassen ein Eigeninteresse daran haben
könnten, eine Fortsetzungserkrankung
zu verneinen, um so die Dauer der
arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung
durch den Arbeitgeber zu verlängern
und eigene Krankengeldzahlungen hi-
nauszuschieben. Der Arbeitnehmer ist
Die Fortsetzungserkrankung
INTERVIEW
Die Entgeltfortzahlungpflicht von sechs Wochen gilt für jeden neuen krankheitsbedingten
Verhinderungsfall. Ausnahme ist die Fortsetzungserkrankung.
Das Interview führte
Thomas Muschiol
.
seinerseits nach Treu und Glauben zur
Mitwirkung verpflichtet und muss im
Zweifel auch Arzt oder Krankenkasse
von der Schweigepflicht befreien.
Solange der Arbeitnehmer eine Mit-
wirkung ablehnt, kann der Arbeitge-
ber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts
verweigern. Vor dem Arbeitsgericht gilt
dann eine abgestufte Beweislast. Weigert
sich der Arbeitnehmer, den Arzt von der
Schweigepflicht zu entbinden, kann der
Arbeitgeber weiterhin die Entgeltfortzah-
lung verweigern. Lässt sich jedoch auch
nach Anhörung der Ärzte nicht feststel-
len, ob eine Fortsetzungserkrankung
vorliegt oder nicht, geht dies zulasten des
Arbeitgebers. Er bleibt dann verpflichtet,
die Entgeltfortzahlung zu leisten, da die
eigentliche Beweislast für das Vorliegen
einer Fortsetzungserkrankung nach wie
vor bei ihm liegt.
JULIA ZANGE
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für
Arbeitsrecht bei der
Kanzlei Jones Day in
Frankfurt am Main
in einer deutlich übersteigenden Weise
falsch einschätzt, dem kann ebenfalls
ein Verschulden zum Vorwurf gemacht
werden (BAG, Urteil vom 7.10.1981, Az.
5 AZR 338/79).
Da das BAG bislang noch keine Sport-
art als (besonders) gefährlich eingestuft
hat, resultiert aus der dargestellten
Rechtslage das Erfordernis, dass bei je-
der Sportart in jedem Einzelfall geprüft
werden muss, ob der verletzte Arbeit-
nehmer besonders leichtfertig gegen
die anerkannten Regeln der konkreten
Sportart verstoßen hat oder ob er sich
an dem jeweiligen Sport in einer Wei-