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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
wertstaffeln (etwa in §§ 9 und 38 Be-
trVG) und Einzelschwellenwerte (zum
Beispiel in § 111 BetrVG). Insbesonde-
re innerhalb der Einzelschwellenwerte
gibt es einen ganzen Strauß an unter-
schiedlichen Bezugspunkten. Teilweise
muss der Zahlenwert der Eingriffschwel-
le überschritten („mehr als“) oder un-
terschritten („weniger als“) werden,
teils benennt der Schwellenwert die
Mindest- oder Höchstzahl, die erreicht
werden darf. In machen Regelungen
ist das Unternehmen der Bezugspunkt
bei der Ermittlung des Schwellenwerts,
anderswo wiederum der Betrieb. Auch
der für maßgebend gehaltene Beurtei-
lungszeitpunkt variiert. Schlussendlich
werden Teilzeitbeschäftigte bei der Er-
mittlung der Schwellenwerte je nach
Regelung unterschiedlich behandelt. In
der Mehrzahl der gesetzlichen Normen,
insbesondere im kollektiven Arbeits-
recht, werden Teilzeitbeschäftigte nach
Kopfzahl berücksichtigt. Es finden sich
aber auch Vorschriften, wonach Teilzeit-
beschäftigte mit ihrem Anteil an der re-
gelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit
berücksichtigt werden.
„In der Regel“ ist die Regel
Bei der Ermittlung der Schwellenwerte
findet oft keine stichtagsbezogene Be-
trachtungsweise statt. In den meisten
Vorschriften heißt es entweder „in der
Regel … beschäftigte Arbeitnehmer“
oder „in der Regel … ständige Arbeit-
nehmer“. Folgt man der Kommentarlite-
ratur, macht das Wort „ständig“ keinen
Unterschied, sodass es durchweg auf die
Worte „in der Regel“ ankommt. Maßgeb-
lich ist damit die Personalstärke, die für
den Betrieb oder das Unternehmen im
Allgemeinen kennzeichnend ist, und
nicht, wie viele Arbeitnehmer dem Un-
ternehmen oder dem Betrieb zu einem
bestimmten Zeitpunkt zufällig angehö-
ren. Die Feststellung der maßgeblichen
Betriebs- oder Unternehmensgröße er-
fordert regelmäßig sowohl einen Rück-
blick als auch eine Prognose. Werden
Arbeitnehmer nicht ständig, sondern
lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt
es für die Frage der regelmäßigen Be-
schäftigung darauf an, ob sie normaler-
weise während des größten Teils eines
Jahres, das heißt länger als sechs Monate
beschäftigt werden. In wenigen Ausnah-
men hingegen soll es auf die aktuelle
Arbeitnehmerzahl zum maßgebenden
Stichtag ankommen, so etwa beim Zu-
gang der Kündigung nach § 23 Abs. 1
Satz 2 Kündigungsschutzgesetz.
Zeitarbeiter zählen mit – manchmal
Mit Rücksicht auf den Wortlaut der ein-
schlägigen Gesetzesvorschriften ist für
die Ermittlung des Schwellenwerts in
erster Linie maßgebend, wie viele Ar-
beitnehmer im maßgeblichen Beurtei-
lungszeitraum oder – im Ausnahmefall
– zum relevanten Stichtag im Betrieb
oder im Unternehmen beschäftigt wa-
ren. Entscheidend hierfür sind die von
der Rechtsprechung entwickelten Indi-
zien zur Bestimmung des Arbeitnehmer-
begriffs. Damit ist aber noch nicht
geklärt, ob auch Leiharbeitnehmer bei
der Ermittlung des jeweiligen Schwel-
lenwerts zu berücksichtigen sind. Eine
Frage, deren Beantwortung nicht nur
wegen ihrer politischen Aktualität von
großer Bedeutung ist. Als Antwort muss
hier zumindest derzeit der von Juristen
gerne bemühte, für den Praktiker eher
nicht zufriedenstellende Satz „Es kommt
darauf an“, gegeben werden.
Der Grund liegt in zwei unterschied-
lichen Entscheidungen des Bundesar-
beitsgerichts. So hat sich das BAG in
einer Entscheidung zu den betriebsver-
fassungsorganisatorischen Schwellen-
werten des § 9 BetrVG und 38 BetrVG
auf den Standpunkt gestellt: Leiharbeit-
nehmer wählen, aber sie zählen für die
Betriebs- und Unternehmensgröße nicht.
Bei der Feststellung der Belegschafts-
stärke im Sinne dieser Bestimmungen
sind demnach nur betriebsanghörige
Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die in
einem Arbeitsverhältnis zum Betriebs-
inhaber stehen und in dessen Betriebs­
organisation eingegliedert sind. Diese
Dr. Jan Vetter
ist Rechts-
anwalt und Geschäftsführer
bei der Südwestmetall,
Bezirksgruppe Reutlingen.
Tabelle
Ausführliche Übersicht zu den ver-
schiedenen Schwellenwerten (HI1811643)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
HPO
Voraussetzungen erfüllen Leiharbeit-
nehmer nicht. Diese generelle betriebs-
verfassungsrechtliche Ausgrenzung der
Leiharbeitnehmer hat das BAG in einer
jüngeren Entscheidung aufgegeben. Zum
Schwellenwert in § 111 Satz 1 BetrVG ha-
ben die Bundesrichter entschieden, dass
Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung des
Schwellenwerts zu berücksichtigen sind,
sofern sie „wahlberechtigt“ sind. Erfor-
derlich ist also, dass sie entsprechend
§ 7 Satz 2 BetrVG länger als drei Monate
in dem Betrieb eingesetzt sind.
Diese zur bisherigen Rechtsprechung
des BAG gegenteilige Entscheidung
wurde mit den unterschiedlichen Zwe-
cken der Schwellenwerte in § 9 und
§ 38 BetrVG einerseits und § 111 BetrVG
andererseits begründet. § 9 BetrVG will
sicherstellen, dass die Zahl der Betriebs-
ratsmitglieder in einem angemessenen
Verhältnis zur Zahl der betriebsange-
hörigen Arbeitnehmer steht, für die der
Betriebsrat die nach dem BetrVG be-
stehend Mitbestimmungsrecht auszuü-
ben hat. Im Gegensatz dazu dient der
Schwellenwert in § 111 Satz 1 BetrVG
dem Schutz kleinerer Unternehmen vor
zu hoher finanzieller Belastung, mit-
hin der Erhaltung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit des Unternehmens.
Die Entscheidungen des BAG zeigen,
dass die Frage, ob Leiharbeitnehmer bei
der Ermittlung eines Schwellenwerts be-
rücksichtigt werden müssen, nicht ein-
heitlich mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet
werden kann. Vielmehr ist der Zweck des
jeweiligen Schwellenwerts entscheidend.
Daher ist abzuwarten, wie das BAG in der
Frage „Zählen Leiharbeitnehmer mit?“
bei anderen Schwellenwerten entschei-
den wird.