personalmagazin 08 / 12
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Management
_Feedbackkultur
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Würden Sie diese Produkte anbieten?
Würden Sie diese Mitarbeiter beschäfti-
gen? Würden wir unsere Belegschaft so
organisieren, bezahlen und befördern?
Welche Veränderungen sind angesichts
unserer Kompetenzen und strategischen
Ziele notwendig?“ Das Team hatte sechs
Wochen Zeit, diese Aufgabe neben dem
regulären Tagesgeschäft zu erledigen.
Die Vorgaben: keine Scheu vor „heiligen
Kühen“ und der Verzicht auf politische
Korrektheit in Bezug auf die Ergebnisse.
Der CEO erklärte, dass er nicht jeden
Vorschlag umsetzen könne, sich aber
sehr wohl jede einzelne Empfehlung und
Idee anhören werde.
Das Team gab sechs Wochen später
eine Reihe gewagter Empfehlungen ab.
Es schlug den Verkauf von zwei älteren
Produktlinien vor, die bisher für das
Führungsteam tabu waren, da sie einst
unter der Ägide des CEO gestanden hat-
ten und als sein „Baby“ angesehen wur-
den. Außerdem empfahl es eine Reihe
organisatorischer Veränderungen, unter
anderem den Ausbau der Vertriebs- und
Kundenservicefunktionen, die Entwick-
lung fortschrittlicher Distributionskom-
petenzen für aufstrebende Märkte sowie
eine Neuausrichtung von Vergütung und
Anreizen. Der CEO war von der Kühn-
heit dieser Vorschläge überrascht — und
erstaunt, dass er sich darin vollkommen
wiederfand. Ihm wurde bewusst, dass er
vielleicht zu betriebsblind gewesen war,
um noch sagen zu können, was zu tun
sei. Die Arbeitsgruppe präsentierte ih-
re Ergebnisse vor dem Topmanagement.
Dieses stand voll und ganz hinter den
Empfehlungen und machte sich sofort
an die Entwicklung eines Umsetzungs-
plans.
Ein Jahr später berichtete der CEO,
dass die Veränderungen schwierig gewe-
sen seien, das Unternehmen aber deut-
lich gestärkt hätten. Er sah die Zukunft
der Organisation und die Stärken sei-
nes Führungsteams nun mit viel mehr
Zuversicht. Außerdem beschloss er, zu-
sätzlich zu den regulären Strategiepro-
zessen ab sofort alle ein bis zwei Jahre
ein Arbeitsteam einzusetzen, das den
Clean-Sheet-of-Paper-Ansatz anwendet.
Er und sein Führungsteam waren über-
zeugt, dass der neue Ansatz ihnen neu-
en Handlungsspielraum gibt, der nicht
der Schwerfälligkeit und den politischen
Zwängen der regulären strategischen
Prozesse unterworfen ist. Die Übung war
auch eine gute Gelegenheit, vielverspre-
chenden Führungskräftenachwuchs auf
den Prüfstand zu stellen und in Aktion
zu sehen. Aber auch die anderen Betei-
ligten profitierten von dieser motivie-
renden Lernerfahrung.
Dies zeigt deutlich, wie wichtig es für
Führungskräfte ist, schlussendlich den
Mut zu haben, die richtigen Fragen zu
stellen und ihre Mitarbeiter um Unter-
stützung zu bitten. In Kombination mit
starken individuellen Coachingprozes-
sen kann dieser Ansatz auch Ihrer Or-
ganisation zu einem Wettbewerbsvorteil
verhelfen.
Robert S. Kaplan
ist Management-
Professor an der Harvard Business School.
Dass Junior-Kollegen – also direkte Unterge-
bene – die Rolle des konstruktiven Kritikers
übernehmen sollen, wie Robert S. Kaplan
in seinem Essay fordert, ist ein ebenso
wichtiges wie gewagtes Postulat. Wichtig,
weil Führungskräfte so eine reelle Chance
erhalten, ihr Verhalten zu hinterfragen und
gezielt zu verbessern. Und gewagt, weil
die Kultur vieler Unternehmen nicht auf
Upward-Feedbacks „mit offenem Visier“
ausgelegt ist. Um Mitarbeitern die Angst
vor offener Kritikäußerung zu nehmen und
Vorgesetzte dazu zu bringen, diese auch
anzunehmen, braucht es einen Nährboden,
auf dem echtes 360-Grad-Feedback gedei-
hen kann. HR kann und sollte hierfür Vo-
raussetzungen schaffen. Es gilt, eine Kultur
des konstruktiven Austauschs zu etablieren.
Damit dies gelingt, müssen die richtigen In-
strumente bereitgestellt und entsprechende
Strukturen geschaffen werden. Ein kultu-
reller Change-Prozess wie dieser beginnt in
den Köpfen und verlangt oft grundlegende
Änderungen in Einstellung und Verhalten.
Das erfordert Zeit und ein planmäßiges
Vorgehen. Ein erster Schritt können anony-
misierte Feedbackbögen sein, aber auch
Tools wie Teambarometer oder Pulschecks,
mit denen Führungskräfte die Stimmung in
ihren Teams überprüfen können. Dazu lohnt
Der richtige Nährboden ist entscheidend
Wer eine wertschätzende Feedbackkultur im Unternehmen will, muss zunächst
die Weichen richtig stellen. Dazu kann HR einen wichtigen Beitrag leisten.
es sich, Feedbackgespräche von vornherein
wechselseitig anzulegen und Mitarbeiter
wie Vorgesetzte darin zu schulen, konstruk-
tiv Feedback zu geben und anzunehmen.
Last but not least müssen alle Beteiligten
spüren, dass sich ihr Einfluss unmittelbar
positiv auswirkt. Zu einer solchen Feedback-
kultur, die alle Beteiligten weiterbringt und
so das gesamte Unternehmen stärkt, kann
HR mit seinem Wissen und den geeigneten
Werkzeugen wesentlich beitragen.
Kommentar
Dr. Asmus Komm
ist Partner im
Hamburger Büro der
Unternehmensbera-
tung McKinsey.