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Management
_Feedbackkultur
Raus aus der Isolationsfalle
Essay.
Je höher die Position, desto seltener erhalten Führungskräfte konstruktives
Feedback. Havard-Professor Robert S. Kaplan zeigt Lösungen für diese Misere.
als Führungskraft und bei der Arbeit mit
anderenFührungskräftenanderHarvard
Business School – häufig beobachten.
Viele Führungskräfte neigen dazu, sich
konstruktiver Kritik und strategischen
Ratschlägen zu entziehen – oft sind sie
sich dessen nicht einmal bewusst. Dieser
Essay soll Ihnen die Augen öffnen und
dabei helfen, besseres Feedback, insbe-
sondere von den eigenen Mitarbeitern,
einzuholen – vorausgesetzt, Sie wissen,
welche Fragen Sie stellen müssen.
Junior-Kollegen als Coaches
Eine der ersten Fragen, die ich einer
Führungskraft stelle, lautet: „Wer ist Ihr
Coach?“ Die klassische Antwort darauf:
eine lange Liste von Mentoren, entweder
außerhalb des Unternehmens oder in der
Geschäftsleitung. Diese sind jedoch kei-
ne Coaches, sondern lediglich Mentoren,
da sie keine direkten Beobachter sind.
Hinzu kommt, dass es sich bei ihren Rat-
schlägen oft nur um Lippenbekenntnisse
handelt. Häufig ist die Perspektive zu
einseitig oder zu eng gefasst, der Men-
tor ist nicht genügend mit der Führungs-
kraft und ihrem professionellen Umfeld
vertraut. Guter Rat sieht anders aus.
Meine nächste Frage – „Wer beo-
bachtet regelmäßig Ihr Verhalten und
spricht auch Dinge aus, die Sie nicht
hören wollen? – löst oft großes Schwei-
gen aus. Genau das ist mir mit dem CEO
eines mittelständischen Pharmaunter-
nehmens passiert. Er klagte über das
Problem, in seinem Führungsteam Kon-
sens zu einer Reihe strategischer Ent-
scheidungen zu erzielen. Dabei ging es
beispielsweise um die mögliche Ent-
wicklung bestimmter Wirkstoffkombi-
nationen und die Entscheidung darüber,
ob man diese allein oder mit einem
Joint-Venture-Partner entwickeln wolle.
Das sind weitreichende Entscheidungen,
da für die Entwicklung und Zulassung
neuer Arzneimittel enorme Kapitalsum-
men erforderlich sind. Der CEO war der
Meinung, dass hier breiter Konsens
notwendig sei. Schließlich betraf die
Entscheidung alle Abteilungen des Un-
ternehmens. Er schätzte sein Führungs-
team sehr, allerdings wuchs zunehmend
auch seine Frustration. Er fragte mich,
ob es vielleicht an seinem Führungsstil
läge oder ob er erwägen solle, eines oder
mehrere Mitglieder des Führungsteams
auszutauschen. Enge Freunde und ex-
terne Berater hatten angeregt, dass es
in dieser Situation sinnvoll sein könne,
neuen Wind in das Führungsteam zu
bringen.
Ich fragte ihn, ob er von seinen Mit-
arbeitern gecoacht werde, woraufhin er
antwortete: „Natürlich nicht! Als Mitar-
beiter sind sie mir unterstellt. Ich fände
es seltsam, wenn ich sie um Coaching
bitten würde. Der Coach bin ich!“ Als
ich wissen wollte, was daran falsch sei,
die eigenen Mitarbeiter um Coaching zu
bitten, dachte er lange nach. Er erklärte
mir, dass er in seiner bisherigen Lauf-
bahn nur selten beobachtet habe, dass
sich ein Vorgesetzter dermaßen ausge-
liefert und die eigenen Mitarbeiter um
Feedback gebeten hätte. Auch wusste
er nicht, wie er das anstellen könnte,
und glaubte, dass es für beide Parteien
unangenehm sei. Auch die klassische
Hierarchie zwischen Vorgesetztem und
Von
Robert S. Kaplan
V
iele Führungskräfte haben das
Gefühl, dass sie, je höher sie
die Karriereleiter hinaufklet-
tern, immer seltener gecoacht
werden und immer weniger über ihre
Leistung und ihren Entwicklungsbedarf
wissen. Unter Umständen erhalten sie
zudem immer weniger konstruktive Kri-
tik.Warum?DieMitarbeiterwollen ihrem
Vorgesetzten nicht zu nahe treten und
glauben, dass Verbesserungsvorschläge
nicht willkommen und daher unklug
seien. Zum Teil sind die Probleme aber
auch hausgemacht: Viele Führungskräf-
te senden unbewusste Signale aus. Wäh-
rend sie auf der einen Seite vorgeben,
konstruktive Kritik einzufordern, wollen
sie sich auf der anderen Seite aber gar
nicht damit auseinandersetzen.
Viel zu häufig stehen diese Füh-
rungskräfte bei den Beurteilungen am
Jahresende, häufig im Rahmen von
360-Grad-Feedbackprogrammen, vor
einem Rätsel: Woher kommt die plötz-
liche und völlig unerwartete Kritik an
ihrem Führungsstil, ihrer Kommunikati-
onsweise, ihren sozialen Kompetenzen?
Oder noch schlimmer: Womöglich wer-
den Zweifel und Bedenken an der ein-
geschlagenen Strategie, wichtigen
taktischen Entscheidungen und ihren
operativen Prioritäten laut. Oft erfahren
die Betroffenen – leider häufig zu spät –,
dass die Mitarbeiter ihre Bedenken und
Sorgen bereits seit geraumer Zeit äu-
ßern, ohne dass sie es bemerkt hätten.
Dieses Phänomen konnte ich in den
vergangenen 25 Jahren – in meiner Zeit