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RECHT
MEHRARBEIT
SERIE: ARBEITSZEIT
Wochenarbeitszeiten vereinbaren. Auch
in bestehenden Arbeitsverhältnissen
können dann abweichende Vereinba-
rungen getroffen werden.
Kollektive Gestaltung durch ein
Bündnis mit dem Betriebsrat
Verlockend mag die Möglichkeit er-
scheinen, die Wochenarbeitszeit mit
dem Betriebsrat in einer freiwilligen
Betriebsvereinbarung zu erhöhen. Aller-
dings stößt die umfassende Regelungs-
macht der Betriebspartner in puncto
Arbeitszeit an die Grenze des § 77 Abs.
3 BetrVG. Dieser Tarifvorbehalt verbietet
Betriebsvereinbarungen über Arbeitsbe-
dingungen, wenn diese durch Tarifver-
trag geregelt sind oder üblicherweise
geregelt werden. Dies ist in Bezug auf die
Wochenarbeitszeit der Fall – sie gehört
zum Kernbereich der typischerweise in
Tarifverträgen geregelten Gegenstände.
Etwas anderes gilt nur, wenn ein Ta-
rifvertrag den Abschluss ergänzender
Betriebsvereinbarungen ausdrücklich
zulässt. Betriebsvereinbarungen, die
gegen den Tarifvorbehalt verstoßen,
sind unwirksam. Ferner stehen einer
Betriebsvereinbarung auch individual-
vertragliche Vereinbarungen entgegen.
Sofern also der Arbeitsvertrag eine Re-
gelung über die Arbeitszeit enthält (zum
Beispiel 35-Stunden-Woche), gilt wieder
das Günstigkeitsprinzip. Das heißt,
Arbeitgeber und Betriebsrat können ge-
gen den Willen der Arbeitnehmer deren
Arbeitszeit nicht erhöhen.
Grenzen der Einvernehmlichkeit –
Wo kein Kläger, da kein Richter?
Die Möglichkeiten von Unternehmen, die
Wochenarbeitszeit ihrer Beschäftigten zu
verlängern, sind also durch Tarifverträge
stark beschränkt. Vor diesem Hinter-
grund könnte mancher Arbeitgeber ge-
neigt sein, im Falle des Einvernehmens
mit Arbeitnehmern und Betriebsrat
nach dem Motto „Wo kein Kläger, da
kein Richter“ zu verfahren. Dabei dürfte
bei der einvernehmlichen individualver-
traglichen Erhöhung der Wochenarbeits-
zeit vom Arbeitnehmer selbst nicht die
größte Gefahr einer gerichtlichen Über-
prüfung ausgehen. Möglich ist hingegen,
dass der Betriebsrat sich im Rahmen
seiner Aufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1
BetrVG, die Durchführung der Tarifver-
träge zu überwachen, gegen eine solche
Vereinbarung wendet. Um eine solche
vom Tarifvertrag abweichende Arbeits-
zeitverlängerung möglichst gerichtsfest
auszugestalten, empfiehlt sich eine an-
gemessene Erhöhung der Vergütung.
Dabei ist auch zu beachten, ob der Ta-
rifvertrag die Vergütung von Mehrarbeit
oder Überstundenzuschläge anordnet.
Hinter diesen Vorgaben sollte die Indivi-
dualvereinbarung nicht zurückbleiben,
um einem Günstigkeitsvergleich stand-
zuhalten. Unterschreitet eine individuelle
Vereinbarung die tariflichen Standards,
droht außerdem die Gefahr einer nach-
träglichen Einforderung der tariflichen
Mehrarbeitsvergütung (gegebenfalls mit
Zuschlägen) durch den Arbeitnehmer.
Dabei ist zu bedenken, dass tarifliche
Ansprüche von arbeitsvertraglichen Aus-
schlussfristen nicht erfasst werden. Hier
sollte überprüft werden, ob der Tarifver-
trag Ausschlussfristen enthält.
Wenn die Betriebspartner mit einer
gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßenden
Betriebsvereinbarung zur Erhöhung der
Arbeitszeit ihre Regelungskompetenz
überschreiten, steht der Gewerkschaft
ein Unterlassungsanspruch gegen den
Arbeitgeber zu. Eine im Betrieb in er-
Bei der einvernehmlichen Erhöhung der Arbeits-
zeit geht vom Arbeitnehmer selbst nicht die größte
Gefahr einer gerichtlichen Überprüfung aus.
TARIFBINDUNG
Tarifregelung und Betriebsnorm
„Kann ich trotz Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit nicht organisierten Arbeit-
nehmern vom Tarifvertrag abweichende Individualvereinbarungen über eine erhöhte
Arbeitszeit treffen?“ Diese Frage hat uns der Personalleiter eines Metallbetriebs zu-
gesandt. Die Autoren dieses Beitrags haben dazu wie folgt Stellung genommen.
„Grundsätzlich ja, denn Tarifvertragsnormen zur Arbeitszeit sind sogenannte Inhalts-
normen, zu deren unmittelbarer und zwingender Geltung die beiderseitige Tarifbin-
dung erforderlich ist. Ausnahmsweise werden sie jedoch von der Rechtsprechung als
sogenannte Betriebsnormen eingeordnet, mit der Folge, dass sie bei Tarifbindung des
Arbeitgebers einheitlich für alle Arbeitnehmer des Betriebs – also auch für Außensei-
ter – gelten: Regelt ein Tarifvertrag, dass der Anteil der Arbeitsverhältnisse mit vom
Tarifvertrag (zum Beispiel 35-Stunden-Woche) abweichenden Arbeitszeitvereinbarungen
(zum Beispiel 40-Stunden-Woche) eine bestimmte Quote (zum Beispiel 18 Prozent) nicht
überschreiten darf, so ist dies eine solche Betriebsnorm, da sie die Zusammensetzung der
Belegschaft regelt. Nur dann begrenzt der Tarifvertrag die Freiheit des Arbeitgebers, mit
nicht organisierten Arbeitnehmern abweichende Individualvereinbarungen zu treffen.