73
RECHT
11 / 11 personalmagazin
MEHRARBEIT
der Name schon sagt – der grundsätz-
lich einschlägige Tarifvertrag nicht an-
wendbar. Wer AT-Angestellter ist, ergibt
sich aus der Festlegung des persönlichen
Geltungsbereichs des Tarifvertrags und
der arbeitsvertraglichen Vereinbarung.
In der Praxis üblich sind hier tarifliche
Mindestabstandsgebote. AT-Angestellter
ist dann beispielsweise, wessen Arbeits-
entgelt mindestens 20 Prozent über dem
höchsten Tarifgehalt liegt. Allerdings
besteht bei AT-Angestellten häufig kein
akuter Bedarf einer Erhöhung der Wo-
chenarbeitszeit, da sich in ihren Arbeits-
verträgen oft keine konkrete Festlegung
der Arbeitszeit findet (sogenannte Ver-
trauensarbeitszeit). Betriebsübliche oder
tarifliche Arbeitszeiten gelten nur, wenn
dies ausdrücklich im Arbeitsvertrag ver-
einbart ist. Zu beachten sind aber auch
hier die Höchstgrenzen des ArbZG.
Die Festlegung der regelmäßigen
Wochenarbeitszeit ist nicht der zwin-
genden Mitbestimmung nach § 87 Abs.
1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
unterworfen, sie ist grundsätzlich den
Arbeitsvertragsparteien und den Tarif-
partnern vorbehalten. Davon zu unter-
scheiden sind jedoch zwei Teilbereiche,
in denen Mitbestimmungsrechte zu be-
achten sind: Dies gilt zum einen für die
Verteilung der Arbeitszeit auf die einzel-
nenWochentage. Diese ist nach § 87 Abs.
1 Nr. 2 BetrVGmitbestimmungspflichtig.
Möchte der Arbeitgeber – etwa wegen
einer Auftragsspitze – die betriebsüb-
liche Arbeitszeit für einzelne oder alle
Arbeitnehmer lediglich vorübergehend
verlängern, so ist auch diese Maßnahme
nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestim-
mungspflichtig. Voraussetzung ist dafür
freilich, dass der Arbeitsvertrag den Ar-
beitgeber hierzu berechtigt.
Zu beachten ist auch die Rechtspre-
chung des BAG, nach der eine Änderung
der vertraglichen Arbeitszeit eine mit-
bestimmungspflichtige Einstellung im
Sinne von § 99 BetrVG sein kann (BAG
vom 25.1.2005, Az. 1 ABR 59/03). Be-
setzt danach der Arbeitgeber einen zu-
vor ausgeschriebenen Arbeitsplatz nicht
durch einen neu eingestellten Arbeitneh-
mer, sondern erhöht stattdessen die ver-
tragliche Arbeitszeit schon beschäftigter
Arbeitnehmer, so soll darin eine mitbe-
stimmungspflichtige Einstellung liegen,
wenn die Verlängerung der Arbeitszeit
länger als einen Monat andauert.
Die Korsettvariante bei Tarifbindung
Geringer sind die Spielräume tarifgebun-
dener Unternehmen. Ist der Arbeitgeber
Mitglied des tarifschließenden Verbands
oder hat er einen Haustarifvertrag ge-
schlossen, so gilt die tariflich geregelte
Wochenarbeitszeit für Arbeitnehmer,
die der tarifschließenden Gewerkschaft
angehören, grundsätzlich unmittelbar
und zwingend. Etwas anderes gilt, wenn
der Tarifvertrag eine Öffnungsklausel
vorsieht. Je nach dem, was der Tarifver-
trag erlaubt, können dann abweichende
Arbeitszeiten durch Individual- oder
Betriebsvereinbarung geregelt werden.
Viele Tarifwerke lassen ausdrücklich ei-
ne Erhöhung von 35 auf 40 Stunden zu,
so auch eine Reihe von IG-Metall-Mantel-
tarifverträgen.
Enthält der Tarifvertrag keine Öff-
nungsklausel, bleibt noch der Weg über
das Günstigkeitsprinzip, nach dem ab-
weichende Vereinbarungen zulässig
sind, soweit sie Änderungen zugunsten
des Arbeitnehmers enthalten. Dabei
ist hinsichtlich der Verlängerung der
Arbeitszeit umstritten, ob eine solche
Vereinbarung dem Günstigkeitsver-
gleich standhält. Betrachtet man die
Arbeitszeit als isolierten Faktor, mag
ihre Verlängerung zunächst für den
Arbeitnehmer ungünstig erscheinen.
Geht mit der Verlängerung jedoch eine
erhöhte Vergütung einher, kann dies
durchaus auch als günstiger anzusehen
sein. Die Rechtsprechung löst dieses
Spannungsverhältnis durch eine indivi-
duelle Betrachtung der Lage des konkret
betroffenen Arbeitnehmers.Jedenfalls
dann, wenn der Arbeitnehmer länger
arbeiten und entsprechend mehr verdie-
nen möchte, räumt sie dieser freiwilligen
Arbeitnehmerentscheidung den Vorrang
ein und wertet die Vereinbarung einer
angemessen vergüteten längeren Ar-
beitszeit als günstiger.
Die Fluchtvariante
Angesichts der tariflichen Restriktionen
liebäugelt mancher Arbeitgeber mit
dem Austritt aus dem Verband oder dem
Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Ta-
rifbindung, um auf die Freiheitsvariante
zurückgreifen zu können. Dabei stellt
sich die Frage, wie lange nach dem Aus-
tritt der Tarifzwang fortbesteht.
Zwar fällt mit dem Austritt die Ta-
rifgebundenheit weg, jedoch gilt der
Tarifvertrag nach § 3 Abs. 3 TVG wei-
ter unmittelbar und zwingend bis zu
seiner Beendigung (Nachbindung). Ist
der Tarifvertrag ausgelaufen, kann der
Arbeitgeber mit neu eingestellten Ar-
beitnehmern längere als die tariflichen
SERIE
Zu beachten ist die Rechtsprechung, nach der eine
Änderung der Arbeitszeit als mitbestimmungs-
pflichtige Einstellung angesehen werden kann.
●
Ausgabe 12/2011:
Längere Wochenarbeitszeit
●
Ausgabe 1/2012:
Kreative Teilzeitmodelle richtig
gestalten
●
Ausgabe 2/2012:
Arbeitszeit und Wertguthaben