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RECHT
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BEFRISTUNG
deutschemRechtdieVerwerfungskompe-
tenz deutscher Gesetze beim Bundesver-
fassungsgericht (BVerfG) liegt. Deutsche
Gerichte dürften das Gesetz aber nicht
anwenden (BAG, Urteil vom 26.4.2006,
Az. 7 AZR 500/04, BVerfG, Beschluss
vom 6.7.2010, Az. 2 BvR 2661/06).
Tarifvertragliche Altersbefristungen
Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78
sind Altersdiskriminierungen zulässig,
wenn sie durch ein legitimes Ziel der
Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpo-
litik gerechtfertigt sind und die Mittel
zur Erreichung dieses Ziels angemessen
und erforderlich sind. Bereits in einer
Entscheidung vom 16. Oktober 2007
(Az. C-411/05 - Palacios) hatte der EuGH
zu einem spanischen Arbeitsverhältnis
festgestellt, dass tarifvertraglich verein-
barte Altersbefristungen grundsätzlich
geeignet seien, den Arbeitsmarkt zu
beleben und die Beschäftigungsgerech-
tigkeit zwischen den Generationen zu
fördern. Sie seien deshalb grundsätz-
lich europarechtskonform. Ob jeweils
im konkreten Fall eine Altersbefristung
geboten sei, hätten die Tarifvertrags-
parteien festzustellen. Dass § 10 Satz
3 Nr. 5 AGG europarechtlich nicht zu
beanstanden sei, war damit indiziert.
Dennoch erachteten einige Instanzge-
richte, insbesondere zwei Kammern des
Arbeitsgerichts Hamburg, tarifvertrag-
liche Altersbefristungen für unwirksam.
Der EuGH hatte sich deshalb erneut mit
– diesmal deutschen – tarifvertraglichen
Altersbefristungen zu beschäftigen und
stellte fest (Urteil vom 12.10.2010, Az.
C-45/09 Rosenbladt): § 10 Satz 3 Nr. 5
AGG verstößt nicht gegen Europarecht.
Doch auch danach ist in der Rechtspre-
chung keine Ruhe eingekehrt. In einer
Entscheidung vom 25. Januar 2011 (Az.
21 Ca 235/05) hat das Arbeitsgericht
Hamburg erneut eine tarifvertragliche
Altersbefristung für unwirksam erachtet
– diesmal wegen eines Verstoßes gegen
den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Da aber auch der EuGH die Kompetenz
der Sozialpartner, beurteilen zu können,
ob Altersbefristungen in den jeweiligen
Branchen sachlich gerechtfertigt und
notwendig sind, in den Vordergrund
stellt, empfiehlt es sich, bei der Vereinba-
rung tarifvertraglicher Altersbefristung
in einer Protokollnotiz die Gründe für
die Altersbefristung festzuhalten. Denn
nach der Rechtsprechung des EuGH
muss feststellbar sein, dass die Tarifver-
tragsparteien eine Altersbefristung aus
Gründen für erforderlich hielten, die eu-
roparechtlich gedeckt sind. Mangelnde
Erkenntnisse über die Gründe einer Al-
tersbefristung hatte auch das Arbeitsge-
richt Hamburg zu seiner Vorlage an den
EuGH bewogen, da es sich außerstande
sah, nachzuvollziehen, ob die tarifver-
traglich vereinbarte Altersbefristung
von rechtfertigenden Gründen im Sinne
der Gleichbehandlungs-Richtlinie ge-
deckt war.
Praxistipp: In Tarifverträgen sollten
die Tarifparteien in einer Protokollnotiz
die maßgeblichen Gründe für die Ver-
einbarung einer Altersbefristung fest-
halten.
Eine solche Protokollnotiz könnte et-
wa wie folgt lauten: „Mit der Altersbefri-
stung verfolgen die Tarifvertragsparteien
arbeitsmarktpolitische Ziele. Sie wollen
die Beschäftigungsverteilung zwischen
den Generationen fördern und einen po-
sitiven Beitrag zur Reduzierung der Ar-
beitslosigkeit leisten. Zudem wollen die
Tarifvertragsparteien den tarifgebun-
denen Unternehmen eine sachgerechte
HINTERGRUND
70-Jähriger klagt gegen eine Kündigung
Ein Autoverkäufer im ostwestfälischen Paderborn, der mittlerweile das 70. Lebensjahr
erreicht hatte, klagte gegen seine Kündigung. Das Arbeitsgericht bescheinigte ihm, dass
er einen Anspruch auf unbefristete Weiterbeschäftigung habe.
Was für die Boulevardpresse eine Sensation war und zu Schlagzeilen wie „Rentner haben
Kündigungsschutz“ führte, war formaljuristisch gesehen nichts anderes als die Umset-
zung des geltenden Rechts, insbesondere des § 41 SGB VI (vergleiche Kasten auf Seite
74). Da nach dieser Vorschrift die Möglichkeit einer Kündigung „wegen“ des Eintritts des
Rentenalters nicht möglich ist, bleibt, solange dem Arbeitnehmer vorwerfbares Verhalten
zur Last zu legen ist, was zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen könnte, nur
die betriebsbedingte Kündigung. Hier aber ist bekanntlich stets eine Sozialauswahl
durchzuführen, bei der laut Kündigungsschutzgesetz zwingend die Betriebszugehörigkeit
sowie das Lebensalter als Abwägungskriterium eine Rolle spielen muss. Angesichts einer
elfjährigen Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter 70, bescheinigte das Arbeitsge-
richt dem Arbeitgeber, dass dieser statt seines Seniors, einen anderen Mitarbeiter hätte
entlassen müssen. Allerdings gilt auch: Bei der Sozialauswahl ist nach dem Kündigungs-
schutzgesetz auch eine Kündigung wirksam, wenn sie zum „Erhalt einer bestimmten
Altersstruktur“ beitragen soll. Das Autohaus führte daher an, man habe aufgrund dieser
Strukturüberlegungen eine Verjüngung des Verkaufsteams erreichen wollen und des-
wegen von der klassischen Sozialauswahl nach den Kriterien der Betriebszugehörigkeit
und des Alters abweichen dürfen. Das wiederum ließ das Gericht nicht gelten, denn der
Gesetzgeber habe mit dem Erhalt einer bestimmten Altersstruktur nicht eine generelle
„Verjüngungskur“ erlaubt. Würde man dies tun, wäre es nämlich möglich, periodisch
(zum Beispiel alle zehn Jahre) die ältesten Arbeitnehmer zu entlassen und die Wertung
des Kündigungsschutzgesetzes würde ins leere laufen.
Arbeitsgericht Paderborn, Urteil vom 22.3.2006, 3 Ca 1947/05