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TARIFRECHT
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personalmagazin 08 / 10
Kommt jetzt der Feuerwehrtarif?
BAG-URTEIL. Berufsgruppen können laut BAG spezielle Tarifverträge
durchsetzen. Ob damit aber ein Tarifchaos ausbricht, dürfte zweifelhaft sein.
also nur ein grandioses Missverständnis
oder müssen Personalverantwortliche
wirklich fürchten, dass in ihren Unter-
nehmen ein „Tarifchaos“ ausbricht?
Kommen neue Berufsgewerkschaften?
Wie so oft dürfte die Wahrheit in der
Mitte liegen und es wird Unternehmen
geben, bei denen die Entscheidung des
BAG zur Tarifeinheit in der Tat zu einem
kollektivrechtlichen Grundproblem wer-
den wird. Das Schlüsselwort heißt hier
„Bildung von Berufsgewerkschaften“.
Hier zeigen die Erfahrungen im Bereich
der Ärztegewerkschaften, vor allem aber
dieAuseinandersetzungen der Lokführer
mit ihrem Arbeitgeber, der Deutschen
Bahn, deutlich, dass Tarifauseinander-
setzungen eine neue Qualität bekommen
können. Vornehmlich in Unternehmen,
bei denen eine Streikgefahr ohnedies
hoch ist, wird die Entscheidung des BAG
Tendenzen zur Aufgliederung in Berufs-
gewerkschaften verstärken. Derartige
„Funktionseliten“, so Rechtsanwalt Tho-
mas Ubber, der die Deutsche Bahn bei
den letzten Tarifauseinandersetzungen
beratend begleitet hat, werden eine aus
seiner Sicht nicht berechtigte Macht ent-
falten, denen „Unternehmen weitgehend
hilflos gegenüberstehen“ (vergleiche das
Interview auf der nächsten Seite).
Für die Masse wird sich nichts ändern
Was aber muss die Masse der Unterneh-
men befürchten? Hier gibt Arbeitsrechtler
Rieble Entwarnung. Keinesfalls würde es
jetzt zu einer „massenhaften Neugrün-
dung von Spezialgewerkschaften“ kom-
men. Vor allem in den Unternehmen, wo
bisher keine Tarifbindung bestand, ist die
Gefahr einer Aufspaltung gering. „Wir
leben seit Jahrzehnten eine ‚tariffreie‘
Kultur, mit der die Belegschaft sehr gut
fährt“, so der Geschäftsführer eines mit-
telständischen Metallbetriebs in Baden-
Württemberg. „Eine Gefahr, dass durch
die Aufgabe der Tarifeinheit jetzt unser
Betrieb von einer Berufsgruppe bestreikt
würde, sehe ich nicht.“ Etwas anders
fällt die Gesamtbetrachtung der neuen
Tariflage allerdings aus, wenn der Blick
auf Krisensituationen fällt. Hier macht die
Fachwelt richtigerweise darauf aufmerk-
sam, dass bei Abschlüssen von Sozialtarif-
verträgen es schnell zu konkurrierenden
Auftritten verschiedener Gewerkschaften
im Unternehmen kommen kann. Wie ein
Nebeneinander derartiger Tarifvertäge
bewältigt werden kann, darauf wird frü-
her oder später das BAG wohl eine Ant-
wort geben müssen.
Von
Thomas Muschiol
(Red.)
W
enn in der Tagesschau ne-
ben Bildern aus der Fuß-
ballweltmeisterschaft und
Berichten über eine bevor-
stehende Wahl des Bundespräsidenten
auch noch Platz für eine arbeitsrecht-
liche Schlagzeile ist, muss schon etwas
Besonderes passiert sein. „Das Bundes-
arbeitsgericht kippt die Tarifeinheit“,
so oder ähnlich lauteten denn auch die
Schlagzeilen. Scheinbar, so vermittelte
jedenfalls diese Berichterstattung, ist ein
Grundprinzip des deutschen kollektiven
Arbeitsrechts aus den Fugen geraten,
ein Szenario, was medienwirksam am
Beispiel von streikenden Feuerwehrleu-
ten untermalt wurde.
Tarifpluralität war bereits Realität
Der Blick in die Fachpresse führte dann
jedoch vielerorts zur Konfusion. Belehrt
wurde man darüber, dass die Entschei-
dung gar nicht so spektakulär sei, wie
sie in der Öffentlichkeit dargestellt
wird. Den sogenannten Grundsatz der
Tarifeinheit habe es zumindest in den
letzten Jahren schon gar nicht mehr ge-
geben. Vielmehr sei ein Nebeneinander
von mehreren Tarifverträgen in einem
Unternehmen längst anerkannte Reali-
tät. Der Rechtswissenschaftler Professor
Volker Rieble brachte dies lapidar auf
den Punkt, indem er unmittelbar nach
der Entscheidung in einem Interview
mit der Haufe Online-Redaktion dar-
legte: „In der Praxis wirkt die Tarifplu-
ralität längst. Und das BAG stellte ja das
‚richtige Recht‘ nur fest.“ War das Ganze
Werksfeuerwehr im Einsatz: Wird es für sie bald
einen eigenständigen Tarifvertrag geben?