Seite 63 - personalmagazin_2010_08

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durch die langjährige Betriebszugehörig-
keit aus Sicht der Arbeitgeber „erschüt-
tern“ zu können. Aus der Entscheidung
lässt sich ableiten, dass es beim Vertrau-
ensverlust nicht nur ein alles oder nichts
gibt, sondern ein zuvor durch langjährige
beanstandungsfreie Tätigkeit erworbenes
Vertrauen durch einen solchen „Fehltritt“
nicht völlig verloren geht, sondern dieses
nur ramponierte Vertrauen gegebenen-
falls wieder hergestellt werden kann. Oft
wird das durch langjährige Tätigkeit er-
worbene Vertrauen von Arbeitgeberseite
nicht richtig eingeschätzt, weil sie davon
ausgehen, dass jemand, der nach vielen
Jahren beim Klauen erwischt wurde, im-
mer schon geklaut hat. Das ist aber oft ei-
ne reine Vermutung – die im Rechtsstreit
nichts zu suchen hat, wenn sie nicht mit
Tatsachen belegt werden kann. Insoweit
ist es aber sinnvoll, dass vorherige Verfeh-
lungen des Arbeitnehmers auch sorgfältig
dokumentiert werden, um gegebenenfalls
den Eindruck, es handele sich um ein „Un-
schuldslamm“, in den begründeten Fällen
widerlegen zu können. Auch wichtig ist:
Klare Regeln schaffen!“
Thüsing: Aufrichtigkeit gefordert
Professor Gregor Thüsing gab folgendes
Statement zum Pfandbonurteil ab: „Der
Fall Barbara Emme erhitzt die Gemüter
– und beschäftigt den Bundestag. Die
SPD-Fraktion und die Fraktion Die Lin-
ke haben vorgeschlagen, zukünftig die
Kündigung nach Diebstählen geringwer-
tiger Gegenstände grundsätzlich oder
– radikaler noch – stets erst nach vo-
rangegangener Abmahnung anzuerken-
nen (BT-Drucks. 17/648Dr. ; BT-Drucks.
17/649). Doch genau das hat das BAG
nicht gesagt – zu Recht. Der Fall einer seit
mehr als 30 Jahren beschäftigten Kassie-
rerin, die Pfandbons unklarer Herkunft
unterschlägt, ist nicht der Regelfall. Wenn
hier letztinstanzlich entschieden wurde,
dass die Verhältnismäßigkeit nicht ge-
wahrt wurde, dann ist das vertretbar. Das
ändert jedoch nichts daran, dass zentrale
Messlatte der Kündigung der Vertrauens-
verlust des Arbeitgebers bleibt, und der
kann auch beimDiebstahl geringwertiger
Sachen eintreten. Es kommt nicht so sehr
auf die Höhe des Schadens, sondern auf
die Umstände der Schädigung an. Es wäre
ein falsches Signal nun zu verkünden: Ein
Schuss ist frei. Ein Recht zum einmaligen
sanktionslosen Diebstahl im Arbeitsver-
hältnis gibt es nicht. Doch ebenso ist rich-
tig: Der Diebstahl geringwertiger Sachen
kann nicht der willkommene Vorwand
sein, einen ungeliebten Mitarbeiter end-
lich los werden zu können. Aufrichtigkeit
nicht nur des Arbeitnehmers, sondern
auch des Arbeitgebers ist gefragt. Das
BAG hat deutlich gemacht, dass die gebo-
tene Einzelfallabwägung bei der außeror-
dentlichen Kündigung besser bei ihm als
beimGesetzgeber aufgehoben ist. Warten
wir die Urteilsgründe ab.“
Rambach: Unsicheres Terrain
„Mich hat sehr überrascht, dass das BAG
unmittelbar in die Interessenabwägung
des LAG eingegriffen, selbst entschieden
und die Sache nicht zur erneuten Ent-
scheidung an das LAG zurückverwiesen
hat“, meint Peter Rambach, Fachanwalt
für Arbeitsrecht aus Freiburg. „Das Urteil
stellt aber keine Änderung der Rechtspre-
chung dar. In der Pressemitteilung weist
der Zweite Senat auch ausdrücklich da-
rauf hin, dass es sich um einen „in vie-
ler Hinsicht atypischen und einmaligen
Kündigungssachverhalt“ handelte. Aus
der Einzelfallentscheidung kann also si-
cher nicht geschlossen werden, das BAG
habe die seit der Bienenstichentschei-
dung im Jahr 1984 mehrfach bestätigten
Grundsätze zur kündigungsrechtlichen
Beurteilung von Bagatellkündigungen
aufgegeben. Es bleibt dabei: Bei Straftaten
gegen das Vermögen des Arbeitgebers
gibt es keine Bagatellen. Die Wahrneh-
mung und Wirkung des Urteils in der
Öffentlichkeit ist aber leider eine ande-
re. Daran werden auch die bisher noch
gar nicht vorliegenden schriftlichen Ent-
scheidungsgründe nichts mehr ändern.
Aus Arbeitgebersicht ist das Terrain jetzt
noch erheblich unsicherer geworden. Die
Feststellung, das von der Kassiererin er-
worbene „Vertrauenskapital“ habe durch
eine einmalige Straftat „nicht vollständig
zerstört“ werden können, ist problema-
tisch. Hieran werden künftig die Arbeits-
gerichte sicher anknüpfen. Die bisherige
„strenge“ Haltung des BAG war bei den
Instanzgerichten nämlich nicht unum-
stritten. Vertrauen ist aber subjektiv. Ob
Vertrauen „aufgezehrt“ ist oder nicht, ist
der Beurteilung Dritter meines Erachtens
entzogen. Der Vertrauensverlust ist für
die arbeitsrechtliche Rechtfertigung der
Kündigung aber entscheidend, nicht eine
– strafrechtlich eventuelle geringfügige
– Straftat. Es kann nur darum gehen, im
Rahmender Prüfung der Verhältnismäßig-
keit sicherzustellen, dass der Arbeitgeber
nicht „überzieht“ oder den Vertrauensver-
lust nur vorschützt, in Wahrheit aber aus
anderen Gründen gekündigt hat. Einer
unehrlichen Kassiererin weiterhin den
Kassenbestand anvertrauen zu müssen,
ist aber nur schwer vermittelbar.“
„Es wäre ein falsches Signal nun zu
verkünden: Ein Schuss ist frei.“
Professor Gregor Thüsing, Universität Bonn
„Ob Vertrauen noch nicht ‚aufgezehrt‘
ist, ist der Beurteilung Dritter entzogen.“
Dr. Peter H. M. Rambach, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Freiburg
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