Seite 17 - personalmagazin_2010_08

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AUSBILDUNG
TITEL
„VomBlickwinkel abhängig“
INTERVIEW. Lehrstellenlücke oder Azubimangel? Beides lässt sich durch eine
entsprechende Statistik belegen. BA-Vorstand Raimund Becker erklärt, warum.
personalmagazin:
Herr Becker, worauf füh-
ren Sie zurück, dass 2009 die Zahl der
neuen Ausbildungsverträge trotz Krise
nicht deutlich gesunken ist?
Raimund Becker:
In den Jahren 2007 und
2008, also in Zeiten guter Wirtschafts-
lage, haben viele Unternehmen unan-
genehme Erfahrungen mit dem Thema
Fachkräftemangel gemacht. Und sie
haben noch gut in Erinnerung, was es
bedeutet, verzweifelt qualifiziertes Per-
sonal zu suchen, aber vielleicht nicht zu
bekommen. Das hat sich bei vielen ins
Gedächtnis eingebrannt. Dazu wissen
sie um die demografische Entwicklung.
Der Fachkräftebedarf dürfte dadurch
enorm werden. Deshalb haben viele
Betriebe trotz Wirtschaftskrise an ihren
Ausbildungsbemühungen festgehalten,
um sich ihren eigenen Fachkräftenach-
wuchs zu sichern.
personalmagazin:
Die BA registrierte 2009
mehr offene Ausbildungsplätze als Be-
werber. Der DGB spricht von 77.000 feh-
lenden Ausbildungsplätzen. Wie kommt
es zu so unterschiedlichen Zahlen?
Becker:
Es kommt auf den Blickwinkel
an. Wir unterscheiden zwischen Jugend-
lichen, die keinen Ausbildungsplatz
und auch keine Alternative wie eine
ausbildungsvorbereitende Maßnah-
me oder ein freiwilliges Soziales Jahr
gefunden haben, und Jugendlichen, die
eben solch eine Alternative angetreten
haben. Trotz Alternative behalten diese
jungen Menschen aber die Suche nach
einem Ausbildungsplatz im Auge, die
spätestens in einem Jahr sowieso wieder
anstehen würde. Viele von ihnen sind
daher auch bereit, die Alternative aufzu-
geben und sofort mit einer Ausbildung
zu starten, wenn sich die Möglichkeit
bietet. In unserer Bilanz finden sich nur
die Jugendlichen wieder, die gar nichts
gefunden haben. Daher die unterschied-
lichen Betrachtungsweisen.
personalmagazin:
Mit welchem Verhältnis
von Ausbildungsplätzen zu Bewerbern
rechnen Sie für 2010/11?
Becker:
Wir nehmen erfreut wahr, dass
die Betriebe ihr Angebot an Ausbil-
dungsplätzen halten. Gleichzeitig
geht demografisch bedingt die Zahl
der Bewerber zurück, in den östlichen
Bundesländern sogar im zweistelligen
Bereich. Angaben zur Bilanz können
wir noch nicht machen. Die Situation
dürfte sich aber weiter entspannen,
wenngleich das noch lange nicht bedeu-
tet, dass jeder Jugendliche in seiner Re-
gion in einem zu ihm passenden Beruf
einen Ausbildungsplatz in Aussicht hat.
Wir appellieren daher an Betriebe und
Jugendliche, sich frühzeitig an uns zu
wenden, sodass wir beide Seiten unter-
stützen können, zusammenzufinden.
personalmagazin:
Handwerksbetriebe
klagen über einen Mangel an Bewer-
bern. Bei anderen Firmen kommen auf
eine Ausbildungsstelle 100 Bewerber.
Was unternimmt die BA, um dieses
Ungleichgewicht zu mildern?
Becker:
Die Bundesagentur für Arbeit
kann Ausbildungsberufe nicht at-
traktiver machen, das ist Aufgabe der
Betriebe. Wir unterstützen Jugendliche
bei ihrer Berufswahl. Dabei beraten wir
nicht nur, sondern informieren auch
über arbeitsmarktliche Perspektiven.
Dazu sind wir auch verstärkt präventiv
tätig. Wir setzen in Vorabgangs-Schul-
klassen an und helfen beim Übergang
von der Schule in den Beruf. Hier kön-
nen sich Betriebe ebenfalls engagieren,
indem sie Praktikumsplätze bereitstel-
len und sich dadurch für eine spätere
Ausbildung empfehlen. Wichtig ist,
entsprechend der sinkenden Schulabgän-
gerzahlen umzudenken: Nicht nur der
Einser-Kandidat kann ein guter Azubi
sein, sondern auch ein Jugendlicher mit
schwierigen Voraussetzungen.
ist seit 2004 Mitglied des Vorstands der
Bundesagentur für Arbeit. Der Jurist
startete seine Laufbahn 1988 im Landes-
arbeitsamt Rheinland-Pfalz-Saarland.
Raimund Becker
Das Interview führte
Daniela Furkel.
08 / 10 personalmagazin