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RECHTSPRECHUNG
RECHT
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und wörtlich ausgeführt: „Eine dreima-
lige widerspruchslose Annahme einer
vom Arbeitgeber unter dem Vorbehalt
der Freiwilligkeit gezahlten Gratifika-
tion kann nach § 308 Nr. 5 BGB nicht
mehr den Verlust eines vertraglichen
Anspruchs auf die Gratifikation bewir-
ken.“ Damit wird mit dieser Entschei-
dung klar, dass die Modernisierung des
Schuldrechts noch weitere Kreise zieht
und noch weitere vermeintlich „gesi-
cherte Rechtsprechung“ dem AGB-Recht
zum Opfer fallen wird.
Urteil vom 18.3.2009, 10 AZR 281/08
Das Urlaubsrecht steht Kopf
Klare nationale Rechtsprechungsricht-
linien können durch einen Federstrich
des europäischen Gerichtshofs zur Ma-
kulatur werden. Dies belegt die Kehrt-
wende zur Frage des Urlaubsverfalls bei
Langzeiterkrankten eindrucksvoll. Der
entsprechenden Entscheidung des BAG
war eine Entscheidung des EuGH voran-
gegangen, nach der Urlaubsansprüche
von Langzeiterkrankten eine „Ewig-
keitsgarantie“ haben. Hier stellt das BAG
geradezu resignierend fest: „Der Senat
gibt seine entgegenstehende bisherige
Rechtsprechung auf.“
Allerdings hat das BAG mit dieser
Entscheidung zumindest einen an-
deren Pflock eingeschlagen, nämlich
die Beschränkung des unverfallbaren
Urlaubsanspruchs auf die Mindestur-
laubsansprüche nach dem Bundesur-
laubsgesetz. Bei richtiger vertraglicher
Gestaltung wird damit das finanzielle Ri-
siko von Urlaubsansprüchen zumindest
auf den Mindesturlaub reduzierbar.
Urteil vom 24.3.2009, 9 AZR 983/07
Regeln für die Flucht aus dem Tarif
Die Mitgliedschaft als „OT-Mitglied“ ist
für viele Arbeitgeber eine Alternative
geworden, der Zwangsjacke eines Tarif-
vertrags zu entgehen und gleichzeitig
die Vorteile eines Verbands zu genießen.
Das BAG hat eine solche Möglichkeit als
legitim beschrieben, aber gleichzeitig
auf eine maßgebliche Falle hingewie-
sen. Entscheidend sei, ob die Satzung
des Arbeitgeberverbands ausreichend
berücksichtigt, dass OT-Mitglieder kei-
nerlei Stimmrecht in Bezug auf Tarifab-
schlüsse haben. Die Konsequenz dieses
Urteils für die Praxis liegt auf der Hand:
Informieren Sie sich vor einer OT-Mit-
gliedschaftserklärung genau über diese
satzungsmäßig notwendige Trennung.
Urteil vom 22.4.2009, 4AZR 111/08
Altersgrenzen mit Blick auf den EuGH
Gerade weil das Bundesarbeitsgericht
sich immer öfter europäischen Überra-
schungsentscheidungen beugen muss,
habendieErfurterRichter jetzt bei
einer umstrittenen Rechtsfrage
die Flucht nach vorne angetreten.
Es geht um die Frage, ob tarif-
liche Altersgrenzen dem Verbot
der Altersdiskriminierung nach
dem AGG widersprechen. Zwar
ist das BAG der Meinung, dass
dies – im zu entscheidenden Fall
handelt es sich um eine tarifliche
Altersgrenze für Piloten – sach-
gerecht ist, möchte dies jedoch
zunächst vom EuGH abgesegnet
haben. Bis dahin sind Unterneh-
men gut beraten, mit betroffenen
Arbeitnehmern Einzellösungen
zu finden, insbesondere Aufhe-
bungsverträge abzuschließen.
Beschluss vom 17.6.2009, 7 AZR 112/08
Einen neuen besonderen
Kündigungsschutz entdeckt
Ein sogenannter „Abfallbeauf-
tragter“ genießt besonderen Kündi-
gungsschutz. Dies ist kein vom BAG im
Wege der Rechtsfortbildung neuer über-
gesetzlicher Tatbestand. Vielmehr ist
es den Erfurter Richtern zu verdanken,
dass eine komplizierte Paragrafenkette,
die einen solchen Kündigungsschutz zur
Folge hat, in das Bewusstsein der Öffent-
lichkeit gedrungen ist. Es zeigt aber auch
wieder einmal überdeutlich, mit welchen
Vorschriftenketten sich Personalverant-
wortliche befassen müssen, und dass sie
damit rechnen müssen, dass sich in § 58
Abs. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz
durch einen versteckten Verweis der
Kündigungsschutz für einen Beauftrag-
ten in Sachen Abfall ergibt.
Urteil vom 26.3.2009 2 AZR 633/07
Erfurter Kulisse: Nach der Wiedervereinigung wurde die Stadt zum Sitz des Bundesarbeitsgerichts bestimmt.