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RECHTSPRECHUNG
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personalmagazin 01 / 10
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Monat für Monat berichten wir
über aktuelle BAG-Urteile. Kommt
es in der Praxis zum „Ernstfall“,
sollten Sie nicht nur die Entschei-
dungen im Volltext analysieren,
sondern auch die vorinstanzlichen
Urteilsgründe parat haben. Die
hier zitierten Urteile einschließlich
der vorinstanzlichen Entschei-
dungsgründe finden Sie daher im
Volltext auf unserem Online-Portal,
Stichwort „BAG-Urteile 2009“.
Erfurter Recht im Jahresrückblick
BAG-ENTSCHEIDUNGEN. Arbeitsrecht ist Richterrecht wie ein Blick auf die
Arbeit des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2009 wieder einmal deutlich macht.
W
enn die arbeitsrechtliche
Praxis 2009 erwartungs-
voll nach Erfurt blickte,
dann geschah dies zum ei-
nen in der Hoffnung, dass Lücken in den
klassischen Rechtsfragen geschlossen
werden, zum andern in der Erkenntnis,
dass es auch in diesem Jahr immer wie-
der unterwarteteWendungen, manchmal
sogar Sensationen geben wird. Beiden
Aspekten hat das BAG 2009 Rechnung
getragen, wie folgender Ausschnitt aus
der Erfurter Senatsarbeit aufzeigt.
Die Altersdiskriminierung
Nachdemdie erste großeWelle derAGG-
Rechtsprechung schon im Vorjahr das
BAG erreicht hatte, zeigt eine Entschei-
dung aus dem Januar 2009, dass hin-
sichtlich des Kriteriums „Alter“ noch
ein gutes Maß an Rechtssicherheit fehlt.
In der Sache ging es nur scheinbar um
ein Spezialproblem, nämlich der Zu-
ordnung einer Mitarbeiterin aus dem
öffentlichen Dienst zum sogenannten
„Personalüberhang“. Die Begründung
ist aber geeignet, allgemeine Grund-
sätze über die Auslegung des AGG und
das Kriterium Alter rechtssicher einzu-
schätzen. Es geht insbesondere um die
Frage, was unter einem „legitimen Ziel“
zu verstehen ist, bei dessen Vorliegen
eine objektive Benachteiligung gerecht-
fertigt ist. Das BAG hat hier einen bis
dahin bestehenden Streit dahingehend
gelöst, dass der Begriff „legitimes Ziel“
nicht nur zielbezogen auf das Allge-
meininteresse zu sehen ist, sondern
dass sogar „Vorrangig die Situation des
einzelnen Unternehmens und der Bran-
che“ zu beachten ist. Gleichzeitig ergibt
sich aus dem Urteil aber auch noch,
dass die Frage eines Prozessausgangs
davon abhängig ist, ob der Arbeitgeber
diese betriebsbezogene Zielvorgabe
schlüssig darlegt. Die eigentliche Lehre
für die Praxis aus dem Urteil ist daher:
Die entsprechenden Tatsachen eines
legitimen Ziels müssen vom Arbeitge-
ber konkret und nachvollziehbar im
Prozess vorgetragen und unter Beweis
gestellt werden.
Urteil vom 22.1.2009, 8 AZR 73/08
Widerspruch gegen Betriebsübergang
Wer als Personalverantwortlicher schon
einmal mit einemBetriebsübergang kon-
frontiert war, der weiß: Die Möglichkeit
einzelner Arbeitnehmer, gegen einen Be-
triebsübergang auch noch nach Monaten
oder gar Jahren Widerspruch einzule-
gen, schweben wie ein Damoklesschwert
über den beteiligten Unternehmen, denn
die Frist für den Widerspruch beginnt
dann nicht zu laufen, wenn Fehler bei
der Informationspflicht vorliegen.
Kann aber ein Widerspruch des Ar-
beitnehmers nicht aufgrund seines be-
stimmten Vorverhaltens verwirkt und
damit rechtsmissbräuchlich sein? Das
Verdienst des BAG ist es, die Vorausset-
zungen für einen derartigen Ausschluss
nach § 242 BGB zumindest halbwegs
praxiswirksam dargestellt zu haben.
Wichtig hierbei ist: Ein rechtsmiss-
bräuchliches Verhalten liegt nicht bereits
dann vor, wenn der Arbeitnehmer keine
sachlichen Gründe für den Widerspruch
hat. Danach muss also der Arbeitgeber
darlegen und nachweisen können, dass
zusätzliche Umstände vorliegen, etwa
die Verfolgung unlauterer Zwecke oder
eine Schädigungsabsicht.
Urteil vom 19.2.2009, 8 AZR 176/08
Überraschung zur betrieblichen Übung
Wenn drei Mal vorbehaltslos Weih-
nachtsgeld gezahlt wurde, besteht ein
Rechtsanspruch für die Zukunft. Wenn
der Arbeitgeber sich dann besinnt, fortan
einen Vorbehalt ausspricht, greift dieser
dann als betriebliche Übung wieder zu-
gunsten des Arbeitgebers ein, wenn der
Arbeitnehmer sich auf diesen Vorbehalt
drei Jahre ohne jeden Protest einlässt.
Dieser auch als „umgekehrte Betriebs-
übung“ bezeichnete eintretende Effekt
besteht seit März 2009 nicht mehr.
Das BAG hat sich hier selbst korrigiert
Von
Thomas Muschiol
(Red.)