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TALENTMANAGEMENT
TITEL
01 / 10 personalmagazin
Die Innovationsstärke lässt sich mit
dem Talentindex berechnen. Dieser er-
rechnet sich aus drei Einzelfaktoren,
die darauf Einfluss üben, wie man sich
komplexes Wissen aneignet, Kompetenz
entwickelt und Lösungen herbeiführt.
Der erste Faktor ist das lernintensive Ar-
beitsumfeld. Dabei geht es darum, ob der
Arbeitnehmer einen fachlich hoch quali-
fizierten Arbeitsplatz (Experte) hat oder
Führungskraft ist, sodass man fortlaufend
und selbstständig komplexe Lösungen er-
arbeiten muss. Der zweite Faktor ist der
formale Bildungsstand; ob der Mitarbeiter
eine (akademische) Ausbildung hat. Und
der dritte Faktor ist das Erfahrungswis-
sen, der davon abhängt, wie viele Jahre
man einen Beruf bereits ausübt und dem-
entsprechend Erfahrung gesammelt hat.
Der Indexwert für die Lernfähigkeit eines
40-jährigen Experten mit Hochschulaus-
bildung wurde bei 100 festgelegt.
Der Talentindex multipliziert mit Auf-
wand für Innovation (in Formvon Ressour-
ceneinsatz wie Geld oder Zeit) ergibt dann
die Innovationsrate der Organisation. Das
bedeutet konkret für die weiterführende
Nutzung des Talentindex: Umso innova-
tionsstärker eine Person oder Organisa-
tion ist (weil sie mehr Talent hat), desto
höher ist die erzielte Innovationsrate bei
gleichem Ressourceneinsatz, oder desto
niedriger ist der Ressourceneinsatz für
eine angestrebte Innovationsrate.
Beispiel der Automobilzulieferindustrie
Mithilfe des Talentindex konnte die Stu-
die aufzeigen, über welche Innovations-
stärke einzelne Länder in Europa in der
Branche der Autormobilzulieferer verfü-
gen. Die Innovationsrate der Automobil-
industrie wird sich in den kommenden
Jahren stark erhöhen müssen, um den
Anforderungen eines sich wandelnden
Markts gerecht werden zu können. Denn
die global zunehmende Mobilität, stei-
gende Energiekosten sowie Klima- und
Umweltschutz verstärken den Druck
auf die Hersteller und Zulieferer, immer
schneller immer komplexere, neue Lö-
sungen anzubieten.
Der Talentindex belegt, dass gemessen
an der Talentausstattung der jeweiligen
Automobilbranche, Österreich über die
höchste Innovationsstärke verfügt, dicht
gefolgt von Frankreich und Deutschland
(mit jeweils einem Indexwert von 73,
71, 70). Die osteuropäischen Länder Slo-
wakei, Polen und Tschechische Republik
sind mit deutlich geringerer Innovati-
onsstärke ausgestattet (jeweils 60, 61,
64). Italien liegt mit 65 Indexpunkten
kaum über der Tschechischen Republik.
Auch wenn die Unterschiede zwischen
den Indexwerten der Länder nicht be-
sonders groß erscheinen, sind sie doch
deutlich. Besonders auffallend ist, dass
sie stark mit der jeweiligen Bruttowert-
schöpfung (BWS) der Branche im Land
korrelieren: Länder mit einem hohen
Talentindexwert haben auch eine hohe
BWS pro Mitarbeiter, Länder mit einem
niedrigen Talentindexwert haben dem-
entsprechend eine niedrige BWS pro
Mitarbeiter. Für einen Indexwert 60 liegt
die BWS bei weniger als 20.000 Euro pro
Beschäftigtem, bei dem Indexwert 73 für
Österreich als Spitzenreiter liegt diese
bei fast 80.000 Euro.
Das ist besonders bedeutsam, weil
hier ein monetärer Wert (BWS) mit nicht
monetären Werten korreliert und somit
prognostiziert werden kann. Das Talent
scheint eine bessere Erklärung von Brut-
towertschöpfung in einem Sektor zu sein
als bisher verwendete Indikatoren, wie
zum Beispiel die Personalkosten.
Der Zusammenhang zwischen Talent
und Bruttowertschöpfung könnte darin
bestehen, dass Talent ein Treiber von In-
novationen und somit Bruttowertschöp-
fung ist, während die Personalkosten
lediglich darstellen, wie die entstandene
Bruttowertschöpfung zwischen Arbeit-
nehmern, Arbeitgebern und Staat (Steu-
ern) verteilt wird.
Unternehmen, die über viel Talent
verfügen und dieses gut nutzen, werden
besser in der Lage sein, den radikalen
Wandel, der die meisten Branchen be-
trifft, erfolgreich zu bestehen. Arbeit-
nehmer, die über eine entsprechende
Ausbildung verfügen, werden höhere
Gehälter verhandeln können – oder auch
für mehrere Unternehmen tätig sein. Hier
liegt übrigens – nach Einschätzung der
Autoren – auch künftig eine Domäne der
Zeitarbeit: Als „Agentur“ für hoch quali-
fizierte Spezialisten.
Talentmanagement ausbauen
Deutschland profitierte in der Vergan-
genheit von einer positiven demogra-
fischen Entwicklung. Dieser Trend hat
sich gedreht. In Zukunft kommen im-
mer weniger junge Menschen auf den
Arbeitsmarkt: Wir haben in Deutschland
den „Peak Talent“ etwa im Jahr 2000
überschritten. Deutschland kann gegen
diese demografische Entwicklung nur
eines tun: Talente jeder Art, jung wie alt,
männlich wie weiblich, deutsch wie aus-
ländisch, zu entdecken, zu fördern, zu
nutzen und zu entwickeln.
Mit der stärkeren Betrachtung von Bil-
dung und Talent als Vermögenswerten,
die dynamisch entwickelt werden müs-
sen, steht uns eine ähnliche gesell-
schaftliche Debatte bevor, wie die um die
soziale Vorsorge. Im Bereich des Talents
haben wir eine gewaltige „Versorgungs-
lücke“, die weder vom Staat, noch von
Unternehmen, noch vom Einzelnen al-
lein getragen werden kann. Wir werden
darüber zu reden haben.
ist Experte für Unternehmensverant-
wortung und Inhaber der Unternehmer-
beratung :response.
Arved Lüth
ist Vorstand des Think-Tank „Deutsch-
land Denken!“ und Leiter der
Innovation&Growth-Academy an der
Zeppelin University in Friedrichshafen.
Dr. Peer Ederer
ist Vorstand und Projektleiter beim
Think-Tank „Deutschland Denken!“.
Stephan Willms