Seite 70 - personalmagazin_2010_09

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RECHT
wechseln. Die Folge: Der Arbeitgeber
bleibt an die Tarifverträge gebunden,
die zum Zeitpunkt des Wechsels verein-
bart sind, bis sie enden oder von den Ta-
rifpartnern inhaltlich geändert werden
(Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG).
Lohnerhöhungen, die erst nach seinem
Wechsel in die OT-Mitgliedschaft von
den Tarifpartnern vereinbart werden,
gelten für ihn nicht.
Allerdings ist zu beachten: Das Bun-
desarbeitsgericht verlangt für eine wirk-
same OT-Mitgliedschaft, dass die Satzung
des Arbeitgeberverbands klar zwischen
tarifgebundenen und OT-Mitgliedern
trennt. Sie muss sicherstellen, dass Letz-
tere keinen Einfluss auf tarifpolitische
Entscheidungen des Verbands haben.
Zudem sind Satzungsbestimmungen
über die Möglichkeit einer OT-Mit-
gliedschaft erst wirksam, wenn sie im
Vereinsregister eingetragen sind. Einvor-
gezogener „Blitzwechsel“ geht ins Leere
(BAG, 26.8.2009 – 4 AZR 294/08).
Die Nachwirkung kann „ewig“ binden
Tückisch ist für Personalverantwort-
liche, dass Tarifnormen noch Jahre sta-
tisch nachwirken können (§ 4 Abs. 5
TVG). Wenn beispielsweise ein schwä-
bischer Automobilzulieferer 1999 aus
dem Arbeitgeberverband austrat, sind
die Normen des Manteltarifvertrags zum
Kündigungsschutz noch heute für alle
bereits 1999 Beschäftigten, die seinerzeit
aufgrund Gewerkschaftszugehörigkeit
tarifgebunden waren, einschlägig. Eine
Folge dabei ist, dass diesen Mitarbeitern,
wenn sie das 53. Lebensjahr vollendet
haben nur aus wichtigem Grund ge-
kündigt werden kann. Über zehn Jahre
nach dem Austritt gibt es somit unter
Umständen eine erhebliche Anzahl von
Arbeitnehmern im Betrieb, denen nicht
ordentlich gekündigt werden kann.
Denn betroffen sind auch Mitarbeiter,
die erst nach 1999 das Alter oder die
Betriebszugehörigkeit erreicht haben,
um in den Genuss der Alterssicherung
zu kommen. Die Nachwirkung einer ta-
riflichen Regelung endet erst, wenn es
dem Arbeitgeber gelingt, sie durch ei-
ne andere Abmachung zu ersetzen. Das
kann durch Abschluss eines Firmenta-
rifvertrags oder neuer Arbeitsverträge
geschehen, setzt also die Mitwirkung der
P
ersonalverantwortliche haben
immer mehr Mühe einzuschät-
zen, ob ein Tarifvertrag anzu-
wenden ist. Allein die Tatsache,
dass eine Verbandszugehörgkeit fehlt
oder durch Austritt beendet wird, erspart
den Arbeitgebern nicht die Prüfung einer
Tarifbindung. Die Rechtslage ist komplex.
Dennoch wird von Personalmanagern er-
wartet, dass sie die Geltung von Tarifver-
trägen richtig beurteilen. Hier ist Sorgfalt
geboten, denn eine Fehleinschätzung an-
lässlich eines Verbandsaustritts, eines
Wechsels in eine OT-Mitgliedschaft oder
eines Unternehmenskaufs kann durch-
aus Millionen kosten.
Der Wechsel in die OT-Mitgliedschaft
Steigende Tarifgehälter zu finanzieren,
fällt vielen Unternehmen zunehmend
schwer. Gleichzeitig wollen sie aber
im Arbeitgeberverband bleiben, um
branchenpolitischen Einfluss zu neh-
men. Viele Arbeitgeberverbände bieten
deshalb die Möglichkeit, in eine Mit-
gliedschaft ohne Tarifbindung (OT) zu
TARIFRECHT
Tarifbindung richtig beurteilen
GRUNDLAGEN. Bei der Beurteilung, ob im konkreten Fall die Regelungen eines
Tarifvertrags greifen, ist eine komplizierte Rechtslage zu beachten.
Von
Ralf-Dietrich Tiesler
Die Möglichkeiten der Tarifbindung sind vielfältiger geworden. Aber auch außerhalb der direkten Bindung können Tarifverträge einschlägig sein.