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TARIFRECHT
Tarifklauseln individuell nutzen
GRUNDLAGEN. Von gesetzlichen Untergrenzen kann durch Tarifvertrag abgewi-
chen werden. Tariflose Betriebe können daran durch Bezugnahme partizipieren.
Nach dem Teilzeit- und Befristungsge-
setz ist eine sachgrundlose Befristung
lediglich bis zur Dauer von zwei Jahren
zulässig (§ 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG). Gleich-
zeitig gibt der Gesetzgeber den Tarifpart-
nern die Möglichkeit, die Höchstdauer
dieser Befristung durch Tarifvertrag zu
erweitern (§ 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG). Wird
davon in einemTarifvertragGebrauch ge-
macht, so können wiederum auch nicht
tarifgebundene Arbeitgeber von dieser
Abweichung profitieren, was ebenfalls
im Gesetz ausdrücklich vermerkt ist
(§ 14 Abs. 2 S. 4 TzBfG).
Die Metall- und Elektroindustrie
Baden-Württemberg hat in ihrem Ta-
rifvertrag die Möglichkeit vorgesehen,
eine sachgrundlose Befristung auf vier
Jahre zu verlängern. Somit kann auch
der nicht tarifgebundene Arbeitgeber
im Geltungsbereich dieses Tarifvertrags
durch Abschluss einer vertraglichen Ab-
rede auf diese günstige tarifvertragliche
Befristungsabrede verweisen.
Die Gesetzesformulierung beachten
Wer als nicht tarifgebundener Arbeitge-
ber von tarifvertraglichen Öffnungsklau-
seln Gebrauch machen will, muss die
jeweiligen Gesetzesformulierungen genau
beachten. So werden in einigen Öffnungs-
klauseln besondere Anforderungen an
die Abweichungen gestellt. Zzum Beispiel
sieht § 7 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG vor,
dass eine tarifliche Abweichung
von der Arbeitszeithöchstdauer
nur dann zulässig ist, wenn in
die tarifliche Arbeitszeit Ar-
beitsbereitschaft oder Bereit-
schaftsdienst fällt. Auch sehen
Öffnungsklauseln wie beim
Arbeitszeitgesetz zunächst
vor, dass Abweichungen nur
durch Betriebsvereinbarungen
möglich sind. Besteht kein Be-
triebsrat, so erweitert sich die
Öffnungsklausel ausdrücklich
auf die dann bestehende Mög-
lichkeit, Abweichungen auch
individualrechtlich festzulegen.
Die arbeitsvertragliche Bezugnahme ist
zunächst nicht formgebunden und kann
daher grundsätzlich auchmündlich, durch
schlüssiges Verhalten oder durch betrieb-
liche Übung erfolgen. Aber Achtung: Im
Einzelfall wird im Gesetz die Schriftform
wiederum angeordnet, so zum Beispiel
bei der Öffnungsklausel bezüglich der
Arbeitszeit (§ 7 Abs. 3 S. 1 ArbZG).
Schließlich muss die abweichende ta-
rifliche Vorschrift in ihrer Gesamtheit in
Bezug genommen werden. Es ist nicht zu-
lässig, lediglich einzelne Sätze der abwei-
chenden Regelung zu übernehmen. Die
abweichende Vorschrift wurde von den
Von
Veit Vossberg
G
rundsätzlich darf in arbeits-
rechtlichen Individualverein-
barungen von Gesetzen nicht
zulasten der Arbeitnehmer ab-
gewichen werden. Dies gilt jedoch dann
nicht, wenn das Gesetz selbst eine solche
Ausnahme zulässt, der Gesetz-
geber also eine sogenannte
„Öffnungsklausel“ verfasst hat.
Diese Öffnungsklauseln sehen
dabei meist eine Abweichungs-
möglichkeit nicht direkt durch
einen Arbeitsvertrag vor, son-
dern lassen Abweichungen
vom staatlichen Recht zuun-
gunsten der Arbeitnehmer zu-
nächst nur durch Tarifverträge
zu. Heißt dies jetzt, dass der-
artige Abweichungen nur in
tarifgebundenen Arbeitsver-
hältnissen umgesetzt werden
können? Keinesfalls, denn der
Gesetzgeber gestattet in den meisten
Fällen auch dem nicht tarifgebundenen
Unternehmer, auf derart abweichende
tarifvertragliche Bestimmungen zu ver-
weisen, gewissermaßen auf einen Tarif-
vertrag „aufzuspringen“.
Beispielsfall zum Befristungsrecht
Wie eine gesetzliche Regelung, die ei-
gentlich einer individualrechtlichen
Abweichung nicht zugänglich ist, durch
„Aufspringen“ auf eine tarifvertragliche
Öffnungsklausel auch in einem tarifver-
tragsfreien Arbeitsverhältnis disponibel
wird, zeigt sich eindrucksvoll an einem
Beispiel aus dem Befristungsrecht.
Trittbrettfahren ist bei Tarifverträgen oft ausdrücklich erlaubt.
© EUGENE IVANOV