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POTENZIALANALYSE
MANAGEMENT
09 / 10 personalmagazin
zichtbare Anforderung im Arbeitsalltag
einer jeden Führungskraft. Naheliegend,
dass die Beurteilung dieser Kompetenz
bei der Auswahl oder Entwicklung von
Mitarbeitern eine immer wesentlichere
Rolle spielt und es geeigneter Erhebungs-
instrumente dafür bedarf. Vor diesem
Hintergrund entwickelte die Münchener
Unternehmensberatung Twist Consul-
ting Group das Testverfahren „In-box“
(auf Deutsch und Englisch) – in Anleh-
nung an die klassische eignungsdiagnos-
tische Übung „Postkorb“. Hierbei haben
Übungsteilnehmer eine Stunde Zeit, am
PC zwanzig unterschiedlich wichtige
und dringliche Mails zu bearbeiten, die
zudem miteinander vernetzt sind. Wie
im „echten Arbeitsleben“, müssen die
Teilnehmer dabei die Komplexität redu-
zieren, Prioritäten erkennen und sinn-
volle Entscheidungen treffen.
Einsatz des Instruments in der Praxis
Erstmalig eingesetzt wurde das Instru-
ment für das internationale Talentma-
nagement bei Giesecke & Devrient GmbH
im Rahmen einer Potenzialanalyse zur
Förderung lokaler und internationaler
Nachwuchsführungskräfte innerhalb der
Töchter des Unternehmens. In mehre-
ren Entwicklungs-Centern rund um den
Globus werden die Talente hinsichtlich
ihrer Kompetenzen und Entwicklungs-
möglichkeiten bezogen auf vordefinierte
Managementkriterien eingeschätzt.
Das Mailbox-Testverfahren wurde als
Bestandteil der Potenzialanalysen inte-
griert, um insbesondere die analytischen
Fähigkeiten der Talente zu messen.
Um eine hohe Qualität der Potenzial-
analyse zu wahren, galt es, zunächst eine
größtmögliche Nähe zum Arbeitsalltag
herzustellen. Dafür wurde die Mailbox-
Übung in enger Abstimmung mit den
internen Verantwortlichen an die Unter-
nehmensrealität angepasst – angefangen
bei der entsprechenden Bezeichnung von
E-Mail-Adressen über unternehmens-
spezifische Produkte, Niederlassungen
und Kooperationspartner bis hin zur
Organisationsstruktur. Insgesamt zirka
30 Nachwuchsführungskräfte aus aller
Welt bearbeiteten die Mailbox einige
Tage vor der Potenzialanalyse in einer
Klassenraumsituation digital am PC.
Die Teilnehmer bekommen zusammen
mit der Testanweisung eine „Who-is-
who“-Liste mit Beschreibung aller E-Mail-
Absender, umdiese als Referenzgröße für
ihre Entscheidungen heranziehen zu kön-
nen. Unter den zwanzig zu bearbeitenden
Nachrichten im simulierten Posteingang
finden die Teilnehmer realitätsnahe
Kundenanfragen, Arbeitsaufträge ihres
Vorgesetzten, E-Mails von Kollegen und
Kooperationspartnern, private Nachrich-
ten oder auch einmal eine Werbe-Mail.
Zudem erhalten die Teilnehmer einen
Kalender, umaus denMails resultierende
Termine ein- oder auszutragen.
Aufgabe bei der Mail-Bearbeitung ist
zum einen, jede Mail zu priorisieren (Wie
wichtig?Wie dringend?), erkannteVernet-
zungen anzugeben sowie eine Entschei-
dung zu treffen, wie mit dieser E-Mail
umgegangen werden soll (zum Beispiel
Löschen, Weiterdelegieren, sofortige Re-
aktion). Im Einklang mit wissenschaft-
lichen Erkenntnissen zum Umgang mit
Komplexität werden die Antworten der
Teilnehmer im Hinblick auf die folgenden
drei Aspekte ausgewertet.
Tempo: Wie viele sinnvolle Entschei-
dungen wurden in der vorgegebenen
Zeit getroffen? Wie meistert der Pro-
band also den Aspekt der Dynamik?
Priorisierung: Wurden Dringlichkeit
und Wichtigkeit der empfangenen E-
Mails korrekt eingeschätzt? Dies ist
der erste Schritt, um die Anzahl der
Informationen sinnvoll bewältigen zu
können.
Komplexitätsreduktion: Wurden Ver-
netzungen zwischen den Nachrichten
erkannt? Gelang es, zum Beispiel mit-
hilfe des Kalenders, eine Übersicht
der Anfragen zu schaffen? Wurden
Vorgänge gebündelt?
Zur Validierung des Testverfahrens wur-
den die Mailbox-Resultate der jungen
Talente mit den Testergebnissen von
ebenfalls in der Potenzialanalyse aus-
gefüllten numerischen Intelligenztests
verglichen. Das Ergebnis des durchge-
führten Chi-Quadrat-Tests (ein Test, mit
dem die Verteilungseigenschaften einer
statistischen Grundgesamtheit unter-
sucht werden) zeigt in der Tat tendenzi-
ell eine Übereinstimmung zwischen der
Höhe des Testergebnisses imMailboxver-
fahren sowie im numerischen Test.
Verhaltenstipps für die Praxis
Durch die theoretische Fundierung des
Mailbox-Tests (Facetten von Komplexität
nach Professor Michael Kastner; strate-
gisches Denken in komplexen, vernetzten
und dynamischen Handlungssituationen
nach Professor Dietrich Dörner) sowie die
unternehmensspezifische Anpassung des
Verfahrens war ein differenziertes Feed-
TESTVERFAHREN „IN-BOX“
1. Theoretische Grundlage:
Die Konstruktion und die Auswertung des Testverfahrens
erfolgten theoriegeleitet (nach Dörner beziehungsweise Kastner).
2. Unternehmensspezifisch:
Inhalt und Form der E-Mails werden an die jeweilige Unter-
nehmensrealität angepasst.
3. Kulturübergreifend:
Das Auswertungsschema (im Vordergrund steht das Wie, nicht das
Was) dieses Instruments ermöglicht kulturunabhängige Ergebnisse.
Unterschied zu bereits bestehenden Instrumenten
(zum Beispiel klassischer „Postkorb“)