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MANAGEMENT
09 / 10 personalmagazin
PERSONENBEURTEILUNG
Von der Wahrnehmung zum Urteil
SERIE. Psychologen haben keinen Röntgenblick. Aber sie haben das Wissen, um
Menschen professionell beurteilen zu können. Das brauchen auch Personaler.
gegen diese schützen, wenn die Stereo-
type bekannt sind und durch bewusste
Bewertungsprozesse ersetzt werden.
Besonders auffällige Merkmale, wie Klei-
dung, Hautfarbe oder auch ein Name, ak-
tivieren Stereotypisierungen.
Das Bewusstsein, einer Gruppe anzu-
gehören, die aufgrund von Stereotypen
Nachteile zu befürchten hat, kann dabei
auch die Testleistung mindern, wie Clau-
de Steele, Professor für Sozialpsychologie
an der Columbia University, zeigen konn-
te. Das gilt vor allem dann, wenn durch
die Rahmenbedingungen vorurteilsbela-
dene Bewertungen zu befürchten sind. Ei-
ne rein männliche Beobachtergruppe in
einemAssessment-Center stellt damit für
Frauen einen potenziellen Nachteil dar.
Der mittlerweile verstorbene Henri
Tajfel, Professor für Sozialpsychologie in
Bristol, hat in seiner Theorie der sozia-
len Identität die soziale Funktion von
Stereotypen beleuchtet, wonach die ei-
gene Gruppe gegenüber der Fremdgrup-
pe durch Vorurteile aufgewertet wird.
Stereotype sind weitverbreitet, und
weil sie von vielen geteilt werden, be-
sonders wirksam. Besonders die Gleich-
behandlung leidet darunter, so werden
leistungsstarke weibliche Azubis eher
als fleißig, leistungsstarke männliche
Azubis als begabt eingestuft, oder auch
ältere Mitarbeiter als weniger leistungs-
fähig angesehen.
Daneben kommen beim Beurteilen
persönliche Tendenzen der Milde, der
Strenge oder die Tendenz zur Mitte zum
Tragen. Zumeist wird daher nicht die ge-
samte Skala eines Beurteilungssystems
ausgenutzt, und die Beurteilungen über
mehrere Beurteiler hinweg sind nur
schwer vergleichbar, zum Leidwesen der
Personalentwicklung.
Auch die persönlichen Erfahrungen
des Beobachters spielen eine Rolle bei
der Urteilsbildung – sogar eine größere
als die tatsächlichen Charakteristiken
einer Person. Indem Personen ihre Er-
fahrungen systematisieren, bilden sie
kognitive Konstrukte, durch die sie
ihr Umfeld wahrnehmen. Dieses ange-
sammelte Wissen beeinflusst sämtliche
Merkmalszuschreibungen. Eine solche
Theorie der persönlichen Konstrukte
entwickelte zum Beispiel der US-Psycho-
loge George Alexander Kelly.
Reaktion des Beobachteten
Aber auch der beobachtete Mensch ver-
hält sich in der Beobachtungssituation
anders. So sind etwa die für Empathie
maßgeblichen Hirnstrukturen (Spiegel-
neuronen) in Drucksituationen weniger
leistungsfähig. Neben dem aktiven Ver-
such, sich gut darzustellen, versuchen
Von
Axel Schweickhardt
W
o beurteilt wird, passieren
Fehler. Personalauswahl
und Personalentwicklung
sind davon besonders
betroffen. Emotionen, persönliche Mo-
tive, der eigene Erfahrungshintergrund
färben unser Urteilsvermögen ein. Be-
sonders wirkt die Sympathie: Augenkon-
takt, Lächeln und Kopfnicken erhöhen
die Chancen von Bewerbern. Die psy-
chologische Forschung kennt zahlreiche
Wahrnehmungsfehler (siehe Kasten auf
Seite 32). Durch teilweise fehlerhafte
Wahrnehmungen bildet der Beurteiler
Hypothesen über den Beurteilten, die
wiederum die Wahrnehmung dahin
lenken, diese Hypothesen zu bestätigen
(„Selffulfilling Prophecy“). So wirkt sich
Vorinformation über Bewerber auf die
anschließende Bewertung aus. Am Ende
finden wir die Eier, die wir selbst ver-
steckt haben.
Unbewusste Stereotype
Eine besondereFormderWahrnehmungs-
fehler sind Stereotype. Stereotype sind
Vereinfachungen der sozialen Umwelt,
indem Mitgliedern verschiedener Grup-
pen (Frauen, Arbeiter, Manager et cetera)
ähnliche Eigenschaften zugeschrieben
werden. Sie leiten die Wahrnehmung, die
Bewertung von Gruppen und das Handeln
und erleichtern so die Informationsauf-
nahme. Die Wahrnehmungsverzerrung
durch Stereotype ist ein automatisierter
und unbewusster Vorgang, der der eige-
nen bewussten Einstellung widerspre-
chen kann. Allerdings kann man sich
SERIE
Ausgabe 8/2010:
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SERIE: PSYCHOLOGIE IN HR