Seite 50 - personalmagazin_2009_09

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„Überstunden sindmöglich“
INTERVIEW. Das neue Grippevirus H1N1 breitet sich immer mehr aus. Roland
Wolf gibt Antworten auf Rechtsfragen, die auf Unternehmen zukommen können.
personalmagazin:
Können Arbeitnehmer
im Pandemiefall mit Blick auf Anste-
ckungsrisiken die Arbeit verweigern?
Roland Wolf:
Grundsätzlich ist dies –
wie so häufig im Arbeitsrecht – eine
Frage des Einzelfalls. Zum jetzigen
Zeitpunkt unter der aktuellen Ver-
breitungssituation – aber auch bei
der augenblicklich medizinisch
nachgewiesenen Intensität des Vi-
rus – begründet die Pandemie kein
Leistungsverweigerungsrecht. Der
Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine
Arbeit – solange er gesund ist – am
Arbeitsplatz aufzunehmen. Das
kann bei spezifischen medizinischen
Indikationen mit ärztlichem Attest im
Einzelfall anders sein, beispielsweise
wenn Vorerkrankungen vorhanden
sind, die bereits im Zusammenspiel
mit einer normalen Virusgrippe zu
schwersten Schäden für die Gesund-
heit führen können.
personalmagazin:
Ist eine vorübergehende
Versetzung eines Arbeitnehmers an
einen anderen Arbeitsplatz möglich?
Wolf:
Der Arbeitgeber kann Arbeitneh-
mer im Rahmen seines Weisungsrechts
umsetzen. Besteht der Verdacht einer
Erkrankung des Arbeitnehmers, kann
er freigestellt oder an einem anderen
Arbeitsplatz eingesetzt werden. Betrifft
die Maßnahme einen Zeitraum von
weniger als einem Monat, muss der
Betriebsrat nicht beteiligt werden. Es
kann im Einzelfall aber sinnvoll sein,
den Betriebsrat vorab einzubinden.
Auch die Anordnung von Heimarbeit ist
möglich. Dies kann ebenso eine Lösung
rung oder im Arbeitsvertrag, dies vor-
sehen. Selbst wenn solche Regelungen
nicht bestehen, kann in besonderen
Situationen, insbesondere in Notfällen,
auch ohne vertragliche Grundlage eine
entsprechende Maßnahme ergriffen
werden. Insofern kann auch die Anord-
nung von Überstunden im Rahmen der
Pandemie in Betracht kommen.
personalmagazin:
Kann der Arbeitgeber,
vor allem von Mitarbeitern in Schlüs-
selpositionen, verlangen, sich an einer
betrieblich organisierten Impfaktion
zu beteiligen oder Medikamente zur
Prophylaxe einzunehmen?
Wolf:
Das ist eine sehr sensible Frage.
Was eine Impfung gegen den Willen
des Mitarbeiters angeht, bin ich eher
skeptisch. Obwohl die Impfung der
Gesunderhaltung dient, handelt es
sich – juristisch gesehen – um eine
„Körperverletzung“. Diese ist zumeist
durch die Einwilligung des Geimpften
gerechtfertigt. Ich kann mir aber kaum
vorstellen, dass es Arbeitnehmer gibt,
die das Angebot des Arbeitgebers zur
Impfung ablehnen. Dies wäre zumin-
destens unter dem Gesichtspunkt
der Betriebstreue höchst fraglich. Im
Einzelfall kann sich aber solch eine
Situation ergeben, wenn Arbeitnehmer
zum Beispiel aus religiösen Gründen
Impfungen ablehnen.
Bei Gesundheits- und Pflegeberufen
kann durch Vereinbarung (zum Beispiel
Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag)
eine Impfpflicht vorgeschrieben sein. In
solchen Situationen besteht eine Pflicht,
sich impfen zu lassen, um die Arbeits-
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PANDEMIE
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
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ORGANISATION
ist Geschäftsführer und Leiter der
Abteilung Arbeitsrecht bei der Bundes-
vereinigung der Deutschen Arbeitgeber-
verbände (BDA).
Roland Wolf
für das Anliegen sein, den Betrieb am
Laufen zu halten, wie die Umsetzung
in einen unterbesetzten Unterneh-
mensteil. Inwieweit hier Kosten durch
Mehrbelastungen vom Arbeitgeber zu
erstatten sind, ist ebenfalls fallbezogen
zu beantworten. Wird der Arbeitneh-
mer kurzfristig zur Behebung einer
starken Auslastungsspitze beispielswei-
se von Berlin nach Köln versetzt, gilt
dieses etwa für die dadurch entstehen-
den Fahrtkosten.
personalmagazin:
Ist dann auch die Anord-
nung von Überstunden möglich?
Wolf:
Mehrarbeit kann dann angeordnet
werden, wenn Regelungen, zum Beispiel
im Tarifvertrag, einer Betriebsvereinba-