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ASTRONAUTENAUSWAHL
SZENE
09 / 09 personalmagazin
Bewerberzahl von höchstens 10.000“,
so Danesy. Diese Menge hätte die ESA,
die normalerweise für alle ausgeschrie-
benen Stellen pro Jahr 7.000 bis 10.000
Bewerbungen erhält, stark überfordert.
Den Bewerberansturm eindämmen
Die Astronautenauswahl unterscheidet
sich aber nicht nur wegen des Bewerber-
interesses von einemnormalen Rekrutie-
rungsprozess. Die Auswahlkriterien sind
härter, der Test- und Logistikaufwand
ist größer und das Interesse der Öffent-
lichkeit ist höher. Auch die Politik ist im
Auswahlverfahren zu berücksichtigen:
Es galt, sämtliche Bewerbungen aus den
17 Mitgliedsstaaten der ESA gleich zu
behandeln. Aber es gab noch viel mehr
Herausforderungen: Schon allein, umdie
Kosten der Tests einzudämmen, galt es,
ein Verfahren zu entwickeln, das schon
von Anfang an unqualifizierte Bewer-
bungen ausschloss. Die Lösung: Nur wer
ein flugmedizinisches Attest einreichte,
erhielt überhaupt die Bewerbungsunter-
lagen. Das verminderte die Zahl der ein-
gehenden Bewerbungen schon einmal
auf 10.000 – aber immer noch zu viele,
um alle händisch zu sichten.
Die Lösung für Herausforderung
Nummer zwei war ein Fragebogen, der
diejenigen Kandidaten automatisch he-
rausfilterte, die bestimmte K.O.-Kriterien
nicht erfüllten. „So dürfen Astronauten
nicht größer als 1,90 Meter sein, weil der
Sitz in der Soyuz nur für Menschen unter
1,90 geeignet ist“, erklärt Frank Danesy.
Auch die Staatsangehörigkeit (nur aus
den Mitgliedsstaaten), die Fachdisziplin
(technisches Studium) und das Gewicht
(unter 90 Kilo) waren solche Kriterien.
Das Internet-Bewerberportal, der dort
hinterlegte elektronische Fragebogen,
das dahinterliegende Datenbanksystem
sowie das Screening-Modul zur teilau-
tomatisierten Vorauswahl entsprechend
der No-Go-Kriterien wurden von Mercu-
ri Urval entwickelt. Alles zusammen
sollte zum einen dazu dienen, diejeni-
gen Kandidaten auszusortieren, die die
Pflichtkriterien nicht erfüllten, und zum
anderen dazu, die Kandidaten bezüglich
ihrer Eignung zu gewichten. „Zusätzlich
zu den ‚harten‘ No-Go-Kriterien gab es ei-
ne Vielzahl ‚weicher‘ Kriterien wie Wer-
degang, Erfahrungen, Kenntnisse oder
Background, die in einer relativ komple-
xen Matrix gewichtet wurden“, erklärt
Alrun Hild, Projektmanagerin und Seni-
or Consultant bei Mercuri Urval.
Doppelter Bewerbungscheck
Daran knüpfte sich die dritte Herausfor-
derung an: Die ESA-Personaler druck-
ten die besten Bewerbungen aus und
überprüften sie. Auf diese Weise konnte
erstens ausgeschlossen werden, dass Be-
werber, die einen Schulausflug in den
Tierpark als „Expeditionsteilnahme“
angaben, in die engere Wahl kamen.
Zweitens sollte die Tatsache, dass die ne-
gativ bewerteten Bewerbungen doppelt
gesichtet wurden, Fehler ausschließen
und die Verantwortung reduzieren. „Die
Entscheidung, jemanden von der nächs-
ten Bewerbungsstufe auszuschließen,
sollte von keinem Einzelnen getragen
werden“, begründet Frank Danesy
Botschafter für die Raumfahrt
Schließlich blieben von den rund 8.500
Bewerbungen 923 Kandidaten übrig,
die eine Einladung zu einem psycholo-
gischen Test erhielten. 123 davon wur-
den zu einem zweiten psychologischen
Test eingeladen. Zum medizinischen
Test wurden noch 55 Kandidaten zuge-
lassen, 22 zu einem Interview mit dem
Top-Management und zehn zu einem In-
terview mit dem Generaldirektor. Dieser
stellte nach der einjährigen Projektzeit
schließlich sechs Astronauten ein – zwei
mehr als die ursprünglich angedachten
vier. „Von diesen werden zumindest ei-
nige die Chance haben, zum Mond zu
fliegen“, vermutet der ESA-Personalleiter
mit Blick auf das neue Aurora-Programm
zur Erkundung des Sonnensystems.
Zunächst aber nehmen die sechs Re-
kruten an einer intensiven Ausbildung
teil. Im ersten Jahr lernen sie alles über
das Umfeld, die Technik und bekommen
eine Taucherausbildung. Danach erwer-
ben sie Kenntnisse über das Raumfahrt-
system und werden anschließend als
Botschafter für die Raumfahrt tätig – bis
die Zuteilung zu einer Mission erfolgt.
Diese erfordert, je nach Dauer, nochmals
ein bis zweieinhalb Jahre Vorbereitungs-
zeit. Da kann es schon passieren, dass
einer der jungen Astronauten die Flinte
ins Korn wirft, weil er sich den Anforde-
rungen nicht gewachsen fühlt. Das sei
natürlich immer ein Risiko, gibt Frank
Danesy zu. „Aber mit dem detaillierten
Auswahlverfahren versuchen wir, es
nach Möglichkeit auszuschalten.“
DIE FAKTEN
Insgesamt 67 Personen aus der European Space Agency, unter anderem der Astronaut
Division und der Kommunikationsabteilung, waren zu irgendeinem Zeitpunkt an dem
Projekt beteiligt. Als externer Dienstleister für die Erstellung der Bewerberportalseite,
der Fragebögen und der gesamten Technik bis zur Administration und dem Monitoring
der Auswahlprozesse wurde die Unternehmensberatung Mercuri Urval beauftragt, die in
der Hochphase mit zwölf Mitarbeitern mit dem Projekt befasst war. Auch die medizi-
nischen Tests wurden teilweise an einen externen Dienstleister vergeben. Durch das gute
Projektmanagement und die strategische Planung lief das Projekt weitgehend reibungs-
los. Übrigens: Vor die größte Herausforderung wurde die ESA gestellt, als während des
Rekrutierungsverfahrens ein 18. Mitgliedsstaat zur ESA dazukam.
Ein Projekt mit großen Dimensionen