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ARBEITSKAMPF
RECHT
01 / 09 personalmagazin
Schon zuvor hatte die 34. Kammer
des Arbeitsgerichts Berlin im einstwei-
ligen Verfügungsverfahren über den
Fall „Rewe“ (siehe Kasten Seite 67) mit
Beschluss vom 12. Dezember 2007 (34
Ga 20169/07) die dortigen Flashmob-Ak-
tivitäten als unzulässige Boykottaktion
verboten. Ganz anders fiel dann aber die
Entscheidung der gleichen Kammer we-
nige Monate später im Hauptsachever-
fahren aus. Nun bewertete die Kammer
die Aktion zwar als geschmacklos und
lästig; ungeachtet dessen sei sie aber
von der Kampfmittelfreiheit umfasst und
aufgrund ihrer zeitlichen Beschränkung
auch nicht unverhältnismäßig (Urteil
vom 1. April 2008, 34 Ca 2402/08).
LAG erkennt Flashmob-Aktionen an
Der letztgenannten Auffassung hat
sich nun auch das LAG Berlin-Branden-
burg in seinem Berufungsurteil vom
29. September 2008 angeschlossen (5 Sa
967/08).
Flashmob-Aktionen seien von der
Arbeitskampfmittelfreiheit erfasst;
schließlich werde die Wahl der Mittel,
mit denen die Koalitionen ihr Ziel zu
erreichen versuchen, ihnen selbst über-
lassen. Daran ändere auch der Umstand
nichts, dass sich der Aufruf (auch) an
Außenstehende gerichtet habe; diese
würden mit dem Ziel der Gestaltung von
Arbeitsbedingungen tätig, auch wenn es
nicht um ihre eigenen Rechte gehe. Die
Kampfparität der Tarifvertragsparteien
werde durch solche Aktionen nicht zwin-
gend beeinträchtigt, da Arbeitgeberver-
band und betroffene Unternehmen über
Gegenmittel verfügten. Sie könnten sich
nämlich über grundsätzliche Verhaltens-
regeln für derartige Fälle beraten und bei
Aktionsexzessen von ihrem Hausrecht
Gebrauch machen.
Jedenfalls bei einer Übernahme von
Streikarbeit durch Leiharbeitnehmer
dürfe das gestörte Gleichgewicht auf die-
seWeisewieder hergestellt werden. Auch
der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
werde nicht in allen Fällen verletzt. Viel-
mehr seien die Aktionen häufig zur Errei-
chung des verfolgten Ziels geeignet und
erforderlich. Auch unter Berücksichti-
gung der ebenfalls verfassungsrechtlich
geschützten Rechtsgüter Dritter sei ein
Aufruf zu Flashmob-Aktionen regelmä-
ßig nicht unangemessen. Die Gefahr von
Exzessen sei nicht höher als bei anderen
Arbeitskampfmaßnahmen, da ver.di bei
Absenden der SMS die Interessenten
noch auswählen könne, wie viele und
welche Interessenten eingeladen wür-
den. Eigentumsverletzungen seien nicht
beabsichtigt gewesen, was der Hinweis
von ver.di, „bitte keine Frischware“ in
den Einkaufswagen zu legen, deutlich
mache.
Kritik an der Entscheidung des LAG
Es bleibt zu hoffen, dass sich die Berli-
ner Rechtsprechung nicht durchsetzen
wird. Auch wenn die Entscheidung des
LAG Berlin-Brandenburg im „Trend“ der
HINWEIS
Ein neuer Begriff im Arbeitskampf
Der Begriff „Flashmob“ wird im Internet-Lexikon Wikipedia als kurzer, schein-
bar spontaner Menschenauflauf auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen
definiert, bei denen sich die Teilnehmer üblicherweise nicht kennen.
Lahmlegen von Einkaufsfilialen
Die Organisation erfolgt über Weblogs, E-Mail-Kettenbriefe oder Mobiltelefon.
Erscheinungsformen des „Blitzpöbels“ waren in der Vergangenheit zumeist sinnfreie
Kurzdemonstrationen oder Formen des Straßentheaters. Diesem Modell folgend, hat
ver.di in den vergangenen Monaten mehrfach versucht, bestreikte Filialen der Mitglieds-
unternehmen des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HBB) durch Mobilisierung
außenstehender Dritter lahmzulegen.
Verabredung über SMS
Zwei Aktionen beschäftigten bisher die Gerichte: Im Fall „Rewe“ verteilte ver.di
Flugblätter mit der Aufschrift „Hast Du Lust, Dich an Flashmob-Aktionen zu beteiligen?
Gib uns Deine Handy-Nummer und lass uns dann zu dem per SMS gesendeten Zeitpunkt
zusammen in einer bestreikten Filiale, in der Streikbrecher arbeiten, gezielt einkaufen
gehen.“ Dementsprechend trafen sich die von der Gewerkschaft benachrichtigten
Teilnehmer des Flashmobs in einer der bestreikten Filialen. Sie kauften dort zur Blockade
des Kassenbereichs zur gleichen Zeit jeweils einen Pfennigartikel. Andere Teilnehmer
packten Einkaufswagen randvoll und ließen diese stehen oder gaben beim Bezahlen
an der Kasse vor, kein Geld dabeizuhaben, sodass der Kauf storniert werden musste.
Frischware sollte nach dem Aufruf von ver.di zwar ausdrücklich nicht eingepackt werden,
doch sah die Realität anders aus. Zahlreiche Tiefkühlprodukte tauten auf und wurden
dadurch unbrauchbar. Der normale Einkaufsbetrieb in der Filiale kam für rund 45 Minuten
zum Erliegen.
Internet-Aufruf über
Im Fall „Reichelt“ forderte ver.di über die Website
zu auf, eine
Filiale der Supermarktkette „dichtzumachen“ und zu „blockieren“ oder – sofern eine
physische Teilnahme an der Aktion nicht möglich sein sollte – die Filialleitung während
der Blockadeaktion durch Telefonanrufe zu tyrannisieren.