Seite 57 - personalmagazin_2009_01

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INTERKULTURELLE BEFRAGUNGEN
SPEZIAL
MITARBEITERBEFRAGUNG
57
„Das Japan-Kolumbien-Paradox“
INTERVIEW. Internationale Mitarbeiterbefragungen sollten nicht unterschätzt
werden. Professor Karsten Müller kennt die Mess- und Interpretationsprobleme.
personalmagazin:
Sie haben die Mess-
äquivalenz von internationalen Mitar-
beiterbefragungen untersucht. Welche
Themen kann man dabei abfragen?
Prof. Karsten Müller:
Vor allem die klas-
sischen Themenfelder der Mitarbeiter-
befragung, also Arbeitszufriedenheit
oder Commitment zum Beispiel.
personalmagazin:
Wovon ist es abhängig,
ob eine Frage für eine internationale
Befragung geeignet ist?
Müller:
Allgemein kann man sagen, dass
sich alle Fragen messen lassen, die sehr
konkret gestellt werden, etwa Fragen
nach den Arbeitsbedingungen oder
Vorgesetzten. Da multinationale Unter-
nehmen global ähnliche Unternehmens-
strukturen aufweisen, können diese
Strukturen gut Thema der Befragung
sein. Viel schwieriger ist es, interna-
tionale Fragen zu stellen, die sich mit
abstrakteren Inhalten wie zum Beispiel
dem Commitment befassen.
personalmagazin:
Warum sind diese ab-
strakten Fragen schwierig?
Müller:
Weil die Antworten in den ein-
zelnen Ländern auf diese Fragen sehr
unterschiedlich ausfallen. Wir konnten
in Studien zeigen, dass bei solchen Fra-
gen, der Faktor „kulturelle Positivität“
das Antwortverhalten stark beeinflusst.
personalmagazin:
Das heißt?
Müller:
Kulturelle Positivität ist die Wert-
schätzung von positiven Emotionen. In
manchen Ländern ist die Lebenszufrie-
denheit größer als in anderen. So ist sie
zum Beispiel in Lateinamerika höher,
obwohl dort viel Armut und Krimina-
lität herrscht, während sie in Japan
geringer ist. Das ist das sogenannte
Japan-Kolumbien-Paradox, das man
mit der kulturellen Positivität erklären
kann. Sie hat einen höheren Vorhersa-
gewert auf die Lebenszufriedenheit als
sozioökonomische Bedingungen.
personalmagazin:
Wie wirkt sich das in
einer Mitarbeiterbefragung aus?
Müller:
In Studien haben wir gezeigt,
dass die kulturelle Positivität die
unterschiedlichen Ergebnisse in der Ar-
beitszufriedenheit auf nationaler Ebene
erklären kann. Denn die Antworten
werden von der kulturellen Positivität
verzerrt. In Japan fällt so die Bewertung
der Arbeitszufriedenheit von vornhe-
rein negativer aus als in Kolumbien.
personalmagazin:
Kann ein Korrekturfak-
tor diese Verzerrung ausgleichen?
Müller:
Ein solcher Korrekturfaktor ist
davon abhängig, welche Fragetypen,
Inhalte und Formulierungen man
verwendet, denn diese definieren die
Stärke des kulturellen Einflusses. Die
Antwort auf die Frage „Fühlen Sie sich
mit Ihrem Unternehmen verbunden?“
wird stark von der Kultur beeinflusst
und damit von der kulturellen Positi-
vität verzerrt. Andere Fragen werden
weniger von der Kultur beeinflusst und
bräuchten deswegen einen anderen
Korrekturfaktor. Deswegen ist ein sol-
cher Faktor noch nicht sehr praktikabel.
personalmagazin:
Was wäre besser als
diese rechnerische Korrektur?
Müller:
Man kann zum Beispiel län-
derspezifische Benchmarks mit den
Befragungsergebnissen der jeweiligen
Länder vergleichen. Aber dabei ist man
stark von der Qualität der Benchmarks
abhängig. Sie sollten auf keinen Fall
überinterpretiert werden. Stattdessen
könnte man auch ganz auf den interkul-
turellen Vergleich verzichten.
personalmagazin:
Ist eine internationale
Befragung dann noch sinnvoll?
Müller:
Auf jeden Fall. Sie ist ein wich-
tiges Instrument, damit die Zentrale
multinationaler Unternehmen mit
der global verteilten Belegeschaft in
Verbindung bleibt und globale Prozesse
anstößt. Nur auf den direkten Länder-
vergleich sollte man dabei verzichten.
Das Interview führte
Kristina Enderle.
Prof. Dr. Karsten Müller
ist Juniorprofessor für Wirtschaftspsy-
chologie an der Universität Mannheim.