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FÜHRUNG
personalmagazin 01 / 09
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
gagement geleistet undwollen unbedingt
den Sprung schaffen. Sie wollen ihre
Belohnung bekommen“, beschreibt van
Quaquebeke diese „Escalation of Com-
mitment“. Ein Ausweg aus der Krise kön-
ne auch sein, den Stellvertreter an den
BewerbungsgesprächenExterner auf den
freien Führungsjob zu beteiligen, um ei-
nen geeigneten Bewerber zu finden, und
ihn den Neuen selbst einarbeiten lassen.
Danach sollte er eine Führungsaufgabe
an anderer Stelle übernehmen. „So kann
er selbst das Team über den Wechsel in-
formieren und so seinen Respekt, seine
Verbundenheit und seine Kompetenz
wahren“, betont der Psychologe. Das sei
„ressourcen-orientiert gedacht, weil alle
ihre Fähigkeiten in den Prozess einbrin-
gen – und der Stellvertreter erhält einen
würdigen Abschied“.
Dr. Norbert Copray beobachtet aber
in den von seiner Stiftung begleiteten
Unternehmen meist das Gegenteil: Vor
allem in kleinen Firmen sowie in öf-
fentlichen Institutionen gebe es keine
Flexibilität bei der Umbesetzung von
Planstellen. „Da sitzen eine Führungs-
kraft und der frustrierte Stellvertreter
oft jahrelang Tür an Tür und behindern
sich gegenseitig. Der Chef will seinen
zweiten Mann ausbremsen, weil der sei-
nen Vorgesetzten ausbremsen will.“
Gründe für die Neubesetzung erklären
Oft könne auch der neue Chef die Situa-
tion selbst deeskalieren, berichtet The-
rapeut Gerrit Grahl: „Er sollte seinen
Stellvertreter ernst nehmen, ihn inhalt-
lich anspruchsvoll fordern und vor allem
15 Minuten am Tag mit ihm in Ruhe über
die laufenden Angelegenheiten reden.“
In weniger schweren Fällen könne das
helfen. Wichtig sei, dem Kollegen Re-
spekt zu zollen und zu zeigen, dass das
vermeintlich Böse ihm positive Erfah-
rungen vermittelt. Auch könne er ein
Arbeitsbündnis anbieten und ihn über
eine Empfehlung für eine andere Füh-
rungsposition qualifizieren. In den von
ihm betreuten Fällen würden allerdings
die Personaler gar nicht und die Füh-
rungskräfte kontraproduktiv agieren.
Leitungsebene und Personalabteilung
sollten daher einem unterlegenen Stell-
vertreter sehr früh die Gründe für die
Neubesetzung erläutern. So bleibe der
Respekt gewahrt. Zudem habe derjenige
mehr Zeit, die Entscheidung persönlich
zu verarbeiten und das Team zu infor-
mieren. Gerrit Grahl betont: „Ab diesem
Zeitpunkt herrscht Klarheit über die Si-
tuation. Der Betroffene kann sich damit
auseinandersetzen, noch bevor der neue
Chef kommt. Das ist nach meiner Erfah-
rung mehr als die Hälfte des Wegs.“
INTERVIEW
„Keine Verlierer produzieren“
personalmagazin:
Wie können Personaler oder
auch Führungskräfte erkennen, dass ein unter-
legener Stellvertreter mit Mobbing und Boykott
agiert?
Gerrit Grahl:
Wenn Worte fallen wie: „Wäre der
neue Chef nicht gekommen, dann würde ich …“ ist
Vorsicht geboten. Da sollte man genauer hinhören.
Betroffene Personen explodieren auch auf einmal
bei kleinsten Differenzen oder sind plötzlich
extrem zurückgezogen. Meist sind sie zudem
permanent übermüdet. Mit der Zeit isolieren sie
sich vom Team, sitzen allein in der Kantine.
personalmagazin:
Wie gehen Unternehmen mit
solchen Fällen um?
Grahl:
Gar nicht! Ich habe in den vergangenen
Jahren Dutzende solcher Fälle begleitet. In keinem
einzigen Fall gab es eine Intervention der Personalabteilung. Dort ist das Problem
schlicht nicht bekannt. Sie agiert erst, wenn der Konflikt so weit eskaliert ist, dass
der Stellvertreter aus dem Unternehmen fliegt. Das passiert übrigens meistens, wenn
niemand hilft.
personalmagazin:
Was sollten Unternehmen tun?
Grahl:
Als Erstes sollte das Problem in seiner Schärfe erkannt werden. Da ist es Mitar-
beitern einerseits möglich, monatelang Mobbing und Boykott auszuüben. Das geht nicht.
Andererseits produzieren Unternehmen durch ihre Prozesse der Personalauswahl Verlierer
unter Mitarbeitern, die bislang höchst loyal gewesen sind. Deswegen sind Spielregeln der
Fairness und des Respekts vor der Leistung von Mitarbeitern sehr wesentlich. Das be-
deutet nicht, dass diejenigen den Job bevorzugt bekommen sollten – im Gegenteil. Aber
Unternehmen brauchen Wege, um keine Verlierer in solchen Situationen zu produzieren.
Da helfen transparente Regeln bei der Personalauswahl, klare Vereinbarungen in der
Jobbeschreibung und ein ehrliches Feedback der Vorgesetzten an ihre Stellvertreter.
Das Interview führte
Uwe Kauss.
Gerrit Grahl
ist Business-Coach und
Therapeut im „Frankfurter
Therapiezentrum“.
Uwe Kauss
ist freier Journalist in Frankfurt/Main.